Sofies Mutter liegt auf dem Sofa, als sie aus der Schule kommt. Die Achtjährige kennt das schon. Mama hat wieder zuviel Alkohol getrunken. Sofie beginnt aufzuräumen und macht ihrer jüngeren Schwester etwas zu essen. Vorher muss sie aber noch einkaufen, weil der Kühlschrank leer ist. Die Schularbeiten müssen warten. Markus geht in dieselbe Klasse wie Sofie, auch er ist daran gewöhnt, dass sein Vater gar nicht richtig ansprechbar ist und komisch nach Alkohol riecht, wenn Markus vom Fußballtraining kommt. Dabei würde er Papa so gerne vom Trainingsspiel erzählen. Markus geht dann mit hängendem Kopf in sein Zimmer und schaltet seinen Computer an. Er taucht ab in die Welt seiner Videospiele.
Sofie und Markus wissen nicht davon, dass sie Tag für Tag zu Hause dasselbe erleben. So wie etwa drei Millionen Kinder in Deutschland haben sie Eltern, die zu viel trinken oder Drogen nehmen. Abhängigkeit ist immer noch ein Tabu. Das spüren auch Sofie und Markus und erzählen keinem, wie es bei Ihnen so ist. Sie wollen ihren Eltern keinen Kummer bereiten und tun, was sie können, damit alles scheinbar ganz normal ist. So werden sie stille Kinder, die allzu leicht vergessen werden.
Suchtkranke Eltern haben Angst davor, dass sie zur Belastung für ihre Kinder werden. Sie schämen sich für ihr Tun. Viele versuchen sich auch einzureden, dass die Kinder gar nichts mitbekommen. Aber die Kinder wissen Bescheid. Eltern lieben ihre Kinder. Umgekehrt ist es genau so. Wenn Eltern zu viel Alkohol trinken, leiden Kinder wie Sofie und Markus – sie machen sich große Sorgen, sie überlegen, ob sie vielleicht sogar selbst Schuld sind an den Problemen von Papa oder Mama. Etwa zwei Drittel dieser Kinder haben ein hohes Risiko, später selbst suchtkrank zu werden oder einen suchtkranken Partner zu suchen.
Ich möchte Ihnen Mut machen, sich selbst Hilfe zu suchen – in einer Suchtberatungsstelle oder einer Selbsthilfegruppe des Kreuzbund finden Sie offene Ohren. Aber halten Sie auch Ausschau nach Unterstützung für Ihre Jüngsten. In der Spandauer Suchtberatungsstelle der Caritas gibt es eine Gruppe für diese Kinder, auch woanders in der Stadt sind Angebote zu finden. Es kommt darauf an, dass Eltern, aber auch Lehrer und Erzieherinnen, Nachbarn, Verwandte hinschauen und damit vergessene Kinder aus dem Schatten herausholen.
Ich wünsche Ihnen, liebe Hörerin, lieber Hörer, ein erholsames und segensreiches Wochenende.