Die Europäische Union ist in eine Krise geraten. Die einen wollen dazugehören, dürfen aber nicht; andere wollen sich verabschieden, sollen aber nicht. Die Situation erinnert an eine zerstrittene Großfamilie. Mal geht es um mehr Geld, ein andermal um mehr Autonomie, dem dritten um mehr Abgrenzung gegenüber Fremden.
Mehr denn je stellt sich die Frage: Wem geht es eigentlich noch um das große Ganze, um die Idee, die hinter einem vereinten Europa steht? Wem geht es eigentlich noch um die Seele Europas?
„Im Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität“ - so heißt es in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einer Art Europäischem Grundgesetz. Das sind große Worte! Sie stammen aus dem Jahr 1999. Es ist also noch gar nicht so lange her, dass die Europäischen Parlamentarier sich dazu bekannt haben, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine immer engere Union zu schaffen.
Wir Katholiken wollen versuchen, unseren Beitrag zur Idee eines geeinten Europas zu leisten. Dabei geht es uns nicht um kirchenpolitischen Geländegewinn. Sondern vielmehr darum, zu fragen, was die Identität Europas denn tatsächlich und ganz konkret ausmacht und wie sie begründet ist. Wie steht es mit der Würde eines jeden Menschen, die gerade in seinen meist gefährdeten Momenten geschützt werden muss, nämlich ganz am Anfang und am Ende seines Lebens? Wie steht es mit der Sorge um die Ärmsten und Schwächsten in unserer Gesellschaft, wie mit unserem Einsatz für die Menschen, die auf der Flucht sind? Achten wir auf die kulturelle Vielfalt? Wie schützen wir das Recht auf freie Religionsausübung, wie achten wir die Entfaltungsfreiheit unserer Familien? Dienen wir dem Frieden, der auch in Europa keine Selbstverständlichkeit ist?
Wenn wir uns als Europäer diese Werte, diese Fragen neu ins Bewusstsein rufen und wenn wir für dieses Europa verantwortlich einstehen, werden wir dem gerecht, was der Name Europa von seiner Herkunft bedeutet: Weit-Sicht.
Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende und einen segensreichen Sonntag.