Viele Gläubige kennen Weihbischof Weider persönlich von zahllosen Begegnungen, bei Firmungen, Jubiläen oder Vertretungsgottesdiensten. Wenn sie ihn treffen, stellen sie sich nicht vor, setzen voraus, dass ihr Gegenüber sie erkennt, zuordnen kann. Wolfgang Weider ist auch als Bischof im Ruhestand Seelsorger geblieben, dem der persönliche Kontakt zu den Gläubigen wichtig ist.
Zweiten Weltkrieg als Kind erlebt
Das Bischofsamt ist dem kleinen Wolfgang im Herbst 1932 nicht in die Wiege gelegt, aber Priester will er schon als kleiner Junge werden. Die Familie praktiziert ganz selbstverständlich den Glauben, zu dem der Gottesdienstbesuch unbedingt dazugehört. Wie viele Kinder spielt er zuhause die Messe nach. »Nicht nur als Nachahmung, das war mir wirklich eine religiöse Andacht«, sagt er im Rückblick. Die Familie lebt in Berlin-Karlshorst auf dem Werksgelände der Furnierfabrik, in der der Vater arbeitet. Nach Feierabend und an den Wochenenden bietet sich den Kindern hier ein Abenteuerspielplatz mit Werkzeug, Loren und Bahngleis. »Zum Glück ist nie etwas passiert «, sagt er später angesichts der Verhältnisse, die heutigen Arbeitsschutzleuten graue Haar wachsen ließen.
Mit sechs Jahren beginnt der Schulalltag; noch als Erstklässler erlebt er den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit. An den ersten Alarm und die Anprobe der Gasmasken kann er sich ebenso erinnern wie an die Zerstörungen nach dem Beginn der Luftangriffe. Karlshorst bleibt zunächst von Bomben verschont, und auch die Jungvolknachmittage, denen er nicht gänzlich entgeht, beeindrucken ihn kaum. Gemeinschaft und Orientierung findet der Volksschüler Wolfgang in der Pfarrei, wo er der großen Ministrantengruppe angehört, die er später leitet. Wenn er auch als »Stummelträger« beginnt und der Weg zum Weihrauchministranten weit ist, prägt ihn der Stil des Pfarrers. Seit 1937 ist Johannes Wittenbrink Pfarrer der Karlshorster Marienpfarrei, ein von der Liturgischen Bewegung kommender Priester. Ihm zur Seite steht seit 1939 Kaplan Alois Wagner, den viele Ali nennen. Er beeindruckt Wolfgang Weider nachhaltig. Die bei ihm gelernten Lieder erinnern ihn bis heute an seinen Jugendkaplan. Alois Wagner wird ihm später die Primizpredigt halten und ist in den siebziger Jahren sein Dekan.
Die vierjährige Volksschulzeit endet 1943. Zu dieser Zeit werden die Kinder wegen der Luftangriffe aus den Großstädten evakuiert. Weiders haben Verwandte in Zittau, hier besucht Wolfgang das Humanistische Gymnasium. Anderthalb Jahre später ist er wieder in Berlin, wo täglich Bombenangriffe und der Einmarsch der Roten Armee überlebt werden. Der Bruder muss zur Flak, der Vater hat Luftschutzaufgaben im Werk, dann ist der Krieg endlich aus. Die unruhigen Zeiten in Karlshorst, das als sowjetisches Hauptquartier vorgesehen ist, sind damit nicht zu Ende. Für Wolfgang Weider, der ja Priester werden will, bringt die Schulfrage neue Schwierigkeiten. In der Nähe gibt es nur eine Oberschule, an der kein Latein gelehrt wird. Erst als der S-Bahn-Verkehr wieder rollt, kann er auf ein Gymnasium im Westteil der besetzten Stadt wechseln, wo er 1951 das Abitur mit Latein und Griechisch ablegt.
Dem Weg zum Priester scheint nichts mehr im Weg zu stehen. Die Familie unterstützt ihn, »hat mich aber nie gedrängt, sondern mir immer die Freiheit gelassen«, erzählt er. Dompropst Alois Piossek als Theologenreferent schickt ihn mit fast allen Berliner Theologiestudenten nach Fulda. In der DDR gibt es zu dieser Zeit noch keine Ausbildungsstätte für katholische Priester. Doch dazu muss der DDR-Bürger Wolfgang Weider nach staatlicher Vorgabe ausgebürgert werden. So kann er das Studium beginnen und fährt mit Ernst Dickenscheid, einem Freund aus seiner Jugendgruppe, in einem gecharterten Bus voller Seminaristen in die Bonifatiusstadt. Als er wenige Wochen später, zu Weihnachten, nach Hause fahren will, braucht er eine umständlich zu beantragende Einreisegenehmigung. Die innerdeutsche Grenze ist zu dieser Zeit noch durchlässig, aber doch schon trennend.
Aus der DDR aus- und wieder eingebürgert
Nach dem Philosophikum wird der Ausgebürgerte wieder eingebürgert. In Erfurt gibt es nun ein Priesterseminar, das die Seelsorge im Osten sichern soll, denn die DDR lässt nicht zu, dass im Westen ausgebildete Priester im Osten tätig sind. Bischof Wilhelm Weskamm braucht Seelsorger für das ganze Bistum und will Einsatzoptionen offenhalten. So studiert Wolfgang Weider ab 1953 in Thüringen Theologie. Eine Tuberkuloseerkrankung wirft ihn um ein Dreivierteljahr zurück, aber im Dezember 1957 legt ihm Weskamms Nachfolger Julius Döpfner die Hände auf. Die Priesterweihe empfängt er in St. Joseph am Wedding, wo er fast ein ganzes Priesterleben später, seit Schließung der Hedwigskathedrale, wöchentlich Beichte hört und die Heilige Messe feiert. Die tägliche Zelebration ist ihm auch mehr als sechzig Jahre nach seiner Weihe die Mitte des Lebens. In einem Interview bekennt er sich zur Messe als dem »Zentrum unserer Erlösung«.
Für die ganze Kirche ist ihm die Kommunion als Feier der Eingliederung in die Gemeinschaft mit dem fortlebenden Christus wichtig. Sie trägt aber auch bis heute sein eigenes Leben. »Als Priester lebt man ehelos. Das kann man nur richtig in einer persönlichen Beziehung zu Christus.« Diese lebendige Beziehung sieht er sakramental verwirklicht in der Eucharistiefeier. Natürlich gehört die persönliche Beziehung zu den Mitbrüdern und den Gläubigen nicht weniger zum Priestersein. »Ich habe immer das Glück gehabt, auf gute Priester zu treffen, die mich begleitet haben«, bekennt er. An seiner ersten Kaplansstelle in Berlin Buch ist dies Georg Reiseck. Das väterliche Verhältnis zu ihm macht ihm die ersten vier Jahre im Dienst leicht, die aber auch fast täglich Begegnungen mit dem Leid der Kranken in der Bucher Klinik bedeuten. Hier erlebt er die Teilung der Stadt durch den Mauerbau. Die Welt wird für ihn kleiner. Mit vielen Gläubigen teilt er das Schicksal getrennter Familien. Seinen in Steglitz lebenden Bruder kann er erst als Bischof wieder besuchen.
Seine zweite Kaplansgemeinde stellt Wolfgang Weider vor andere Herausforderungen. Die Pfarrei Herz Jesu in Berlin Mitte hat einen Pfarrer, den er freundlich als »couragiert« beschreibt. Alfred Brinkmann ist ein Vollblutseelsorger, der seine Kapläne fordert, aber auch Ecken und Kanten zeigt. Wer den Weihbischof Anekdoten aus diesen vier Jahren erzählen hört, bekommt ein lebendiges Bild von den kirchlichen Verhältnissen dieser Zeit, aber auch vom Humor des Erzählenden. Die Geradlinigkeit und Originalität dieser Priesterpersönlichkeit hat den Weihbischof sicher mitgeprägt.
Weihbischof in einer geteilten Stadt
1966 übernimmt er seine erste eigene Seelsorgestelle in Berlin-Treptow, direkt an der Grenze, eigentlich Teil der Kreuzberger Liebfrauenpfarrei. Statt Pfarrhaus und Kirche stehen ihm drei Zimmer in einem Mietshaus zur Verfügung. Sie bilden Wohnung, Gemeinderaum und Kapelle. Die Musikbox der Kneipe im Stockwerk darunter gibt manchem Gottesdienst ein ganz eigenes Flair. Für die tausend Gläubigen reicht die Kapelle sonntags nicht aus; der Gemeindesaal der evangelischen Gemeinde wird in praktischer Ökumene genutzt. Fünf Jahre später führt ihn der Weg nach Michendorf, südlich von Potsdam. Der Kaplan seiner Kindheit führt ihn als Dekan in das Amt ein, sein Jugend- und Studienfreund ist Nachbarpfarrer. Zur Gemeindeseelsorge kommen in Michendorf zusätzliche Aufgaben. Dominikanerinnen führen hier das Norberthaus, eine Behinderteneinrichtung. Auf dem Gelände befinden sich das Kindergärtnerinnenseminar für katholische Erzieherinnen und die Aspirantur für angehende Krankenschwestern, die in kirchlichen Krankenhäusern ausgebildet werden. Pfarrer Weider gibt Religionsunterricht und knüpft Kontakte, die über Jahrzehnte und viele Kilometer lebendig bleiben.
Michendorf bleibt ein Stück Heimat, auch für den Weihbischof. Zuvor aber holt ihn Kardinal Bengsch in die Verwaltung des Bistums. 1976 wird er Mitarbeiter im Seelsorgeamt und übernimmt bald die Personalverantwortung für die Priester im Ostteil des Bistums. Seelsorgehelferinnen, Diakone und auch die Diakonatshelfer fallen in sein Ressort. Versetzungsfragen sind zu regeln, eine Aufgabe, um die ihn kaum jemand beneiden wird. Wolfgang Weider bereist die Weiten des Bistums, bemüht, auch für unpopuläre Entscheidungen einvernehmliche Lösungen zu finden. Er scheint sich bewährt zu haben, denn im Februar 1982 ernennt ihn der Papst zum Weihbischof, als Nachfolger des verstorbenen Johannes Kleineidam. Die Bischofsinsignien sprechen eine eigene Sprache. Der Baum im Bischofswappen ist keine Anspielung auf seinen Namen, er entstammt den Wappen seiner beiden Pfarreien Treptow und Michendorf. Und das Brustkreuz, Geschenk der Priester des Bistums, zeigt die Silhouette der geteilten Stadt Berlin mit dem Verlauf der Mauer. Wolfgang Weider ist Weihbischof für das ganze Bistum. Der Wohnsitz muss im Ostteil bleiben, um unter den politischen Bedingungen in beiden Bistumsteilen wirken zu können. Dreimal im Monat fährt er mit Kardinal Meisner in den Westen, hält Firmungen, besucht Mitbrüder, Konferenzen und Pfarreien. Personalchef für den Ostteil bleibt er auch als Bischof.
Jeden Dienstagabend in der Kathedrale
Und dann fällt die Mauer. Der Weihbischof ist zu Exerzitien in Alexanderdorf, soll aber am 10. November 1989 abends eine Firmung in Reinickendorf halten, den neuen Bischof Georg Sterzinsky vertretend, der gerade beim Papst ist. Die Firmung kann geradeso pünktlich beginnen. Die Sakramente tragen die Kirche zu allen Zeiten, auch wenn es turbulent wird. Wolfgang Weiders Aufgaben verändern sich weniger als die äußeren Umstände. Bis zum Eintritt in den Ruhestand liegen zwanzig weitere Jahre als Weihbischof vor ihm, in denen er firmt, den Glauben verkündet, die Heilige Messe feiert und Kontakt zu den Gemeinden hält. Fester Punkt seit den siebziger Jahren ist der Dienstagabend in der Hedwigskathedrale. Hier ist er gefragter Beichtvater und Zelebrant. Hier feiert er auch sein Jubiläum nach 60 Jahren als Priester und 35 Jahren als Bischof. Nachdenklich fragt er in seiner Jubiläumspredigt nach der Bilanz seines Dienstes. Hat der ihm übertragene »Dienst, das Volk Gottes zu heiligen«, Frucht getragen? Hat sein Zeugnis andere zu einer tieferen Beziehung zu Christus geführt? Der Rückgang bei Berufungen, Glaubenspraxis und Gottesdienstbesuch macht ihm Sorgen. Er erinnert aber auch an die vielen Glaubenszeugen, denen er begegnet, die andere im Glauben stärken, oft ohne etwas von ihrer Ausstrahlung zu ahnen. Die Teilnehmer der Seniorenwallfahrt an dem heißen Augusttag haben Wolfgang Weiders Dienst über viele Jahre erfahren. Mancher von ihnen weiß, was er seinem Zeugnis verdankt.