„Hauptsache billig – das geht nicht“Misereor-Expertin Lanje fordert Umdenken in der Landwirtschaft: „Wir brauchen wieder mehr Kleinbauern und Familienbetriebe“

„Gutes Essen! Gute Landwirtschaft! Für Alle!“, so lautet das Motto einer „Wir haben die Agrar-Industrie satt“-Demonstration, zu der auch Misereor anlässlich der Internationalen Grünen Woche in Berlin aufgerufen hat. Die Landwirtschaft sei zu stark auf Großbetriebe und auf Export ausgerichtet, kritisiert Kerstin Lanje, Expertin für Welthandel und Ernährung beim Bischöflichen Hilfswerk.

Frau Lanje, „gute Landwirtschaft“ und „Agrar-Industrie“ – das ist doch kein Widerspruch oder braucht es für die Produktion hochwertiger Lebensmittel wieder mehr Kleinbauern und mittelständische Familienbetriebe?

Die hochindustrielle Landwirtschaft, die en masse produziert und immer mehr für den Export, steht tatsächlich oft in einem Gegensatz zu einer „guten Landwirtschaft“ im Sinne von „gesund für Menschen, Tiere und Böden“. Die deutsche und europäische Landwirtschaft ist zu stark auf riesige Großbetriebe und Export ausgerichtet. Mittlerweile werden fast jedes zweite Kilo produziertes Schweinefleisch und fast jeder zweite Liter Milch exportiert. So landet billiges Milchpulver in Afrika und macht dort den lokalen Milchbauern Konkurrenz, die nicht mit deutschen Produktionsbedingungen mithalten können. Gleichzeitig werden bei uns die Betriebe immer größer und die kleinen Landwirte müssen aufgeben. Bei den Milchbauern haben allein in den letzten fünf Jahren etwa 20 000 Betriebe geschlossen. Bei den Schweinefleischbetrieben waren es in der letzten Dekade fast die Hälfte aller Betriebe, die aufgegeben mussten.

Die starke Exportausrichtung wiederum führt zu hohen Futtermittelimporten, oder?

Für den Import von Soja belegen wir im Ausland landwirtschaftliche Flächen, die dann in den Herkunftsländern nicht mehr für die Lebensmittelproduktion zur Verfügung stehen. Dies geht auf Kosten der Menschen, denn durch die knappen Anbauflächen steigen die Preise von Lebensmitteln. Ein Agrarmodell kann nur sinnvoll nachhaltig gestaltet werden, wenn wir uns in Deutschland und Europa wieder auf unsere eigenen Ressourcen konzentrieren und nur das produzieren, was unsere Flächen auch hergeben. Wir sollten nur so viel Tiere züchten, wie wir auch selber essen – und nicht für den Export.

„Bio“, „öko“, „frisch“, „gesund“, „fair gehandelt“, gleichzeitig aber „hauptsache billig“ – das wollen wohl die meisten Verbraucher. Ist das eine Illusion oder wie passt das zusammen?

„Hauptsache billig“ geht tatsächlich nicht. Wir müssen uns bewusst sein, dass es eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Ausrichtung ist, die dazu führt, dass wir mehr Geld für den Konsum von Unterhaltungsgeräten, Reisen und Autos ausgeben als für Essen. Die Ausgaben für Lebensmittel lagen 2012 nur noch bei 15 Prozent, 1960 waren es noch 38 Prozent. Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir auch unser Konsumverhalten in Frage stellen: Wie wollen und werden wir leben?

Beim Thema Ernährung geht es auch um Fragen der Gerechtigkeit: Während westliche Gesellschaften im Überfluss leben, herrschen andernorts Ausbeutung, Hunger und Durst. Muss dem Endverbraucher da nicht der Appetit vergehen?

Mit meinem Konsum treffe ich eine weitreichende Entscheidung: Wenn ich regional erzeugte, ökologische oder fair gehandelte Produkte kaufe, dann unterstütze ich damit eine bestimmte nachhaltige Landwirtschaft. Wenn ich meinen Fleischkonsum ein wenig reduziere, trage ich zur Hungerbekämpfung in den Entwicklungsländern bei. Wenn ich abends um sieben nicht mehr eine weite Vielfalt von Brot und Brötchen beim Bäcker erwarte, die eine halbe Stunde später massenhaft vernichtet werden muss, dann beginnt langsam ein Umdenken. Damit setze ich auch ein Zeichen.

Der Fleischverzehr in Deutschland hat ein Rekordniveau erreicht. Wäre das grundsätzlich in Ordnung, wenn denn die Tiere vernünftig gehalten würden?

Es ist immer gut, wenn Tiere vernünftig gehalten werden. Aber nicht nur die Tierhaltung ist wichtig, sondern auch die Fütterung. Unabhängig von der Betriebsgröße und Haltungsform ist es entscheidend, wieder mehr heimische Futtermittel einzusetzen statt importierter Soja. Wir fordern eine flächengebundene Tierhaltung, die nicht auf Kosten anderer Länder funktioniert. Nur so viele Tiere sollten gezüchtet werden, wie auf den heimischen Flächen eigenes Futtermittel angebaut werden kann. Andernfalls hat es die dramatischen Konsequenzen, die ich bereits erwähnt habe. Unsere Projekt- Partner in Paraguay etwa berichten, dass ihr Land zu einer einzigen Sojaplantage wird. Bereits Dreiviertel der Agrarflächen dort sind mit Soja bepflanzt. Bauern werden deshalb von ihrem Land vertrieben und Pestizide für die anfälligen Monokulturflächen vergiften Menschen, Tiere und Böden.

Christen kennen ähnliches wie den im vergangenen Jahr diskutierten „Veggie-Day“ schon sehr lang: den Fleischverzicht freitags oder während der Fastenzeit. Kann das für einen besseren, ja bewussteren und verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln sensibilisieren?

Genauso ist es ja gemeint. Ein Tag Verzicht auf Fleisch, würde uns wirklich nicht schaden. Im Gegenteil. Wir essen viel zu viel Fleisch. Die Hälfte unseres Konsums wäre auch gesundheitlich viel empfehlenswerter. Ein bewusster Fleischverzicht am Freitag oder während der Fastenzeit regt vielleicht zum Nachdenken an und zum Diskutieren mit Anderen. Wir brauchen allerdings eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über die Ausrichtung unserer Landwirtschaft und wollen nicht beim individuellen Verzicht stehen bleiben.