Über den Dächern von Berlin meditierenChristliche Gemeinschaft "Chemin Neuf" plant ungewöhnliches Zentrum

Eine "Gebetshütte" mit Blick auf Fernsehturm und Rotes Rathaus: Selbst für das umtriebige Berlin ist das Projekt ungewöhnlich. Doch die Christliche Gemeinschaft "Chemin Neuf" ("Neuer Weg") plant noch weit mehr als eine extravagante Meditationsstätte über den Dächern der Hauptstadt.

In Berlin-Mitte will sie ein ökumenisches Begegnungszentrum mit Wohnheim für junge Menschen errichten. Es soll in der katholischen Sankt-Adalbert-Kirche und den vorgelagerten Wohngebäuden entstehen. Seit der Fusion mit der Herz-Jesu-Gemeinde, in der sich "Chemin Neuf" bereits seit 1994 engagiert, stehen die Bauten in der Torstraße 168 für eine neue Nutzung zur Verfügung.

Vor allem aber will die vor 40 Jahren in Frankreich gegründete Gemeinschaft in Berlin stärker präsent werden. Sie sieht ihre Berufung darin, die Einheit der Christen zu fördern und junge Menschen dabei zu helfen, ihren Lebensweg zu finden. Dafür treten in 20 Ländern rund 1.000 Mitglieder von "Chemin Neuf" aus verschiedenen Konfessionen ein. Sie leben in Hausgemeinschaften zusammen, denen auch ganze Familien angehören.

Ein spannendes Experiment

Unter den 8.000 weiteren Unterstützern machen sich nun zwei prominente Schirmherren für das Berliner Projekt stark. Es sind der frühere Präsident des päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, Kardinal Walter Kasper, und der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

Kasper will bei einem Besuch im kommenden Juni für das Vorhaben werben, das er nach eigenen Worten "mit großem Interesse begleitet". Auch Thierse ist "neugierig und gespannt auf das Experiment". Bei einer öffentlichen Präsentation erinnerte er an die "Multi-Kulti-Tradition" des Umfelds in der historischen Spandauer Vorstadt Berlins, die wieder ein Zentrum des jüdischen Lebens ist.

Auch die beiden großen Kirchen in Berlin stehen hinter dem Projekt. Die evangelische Pröpstin Friederike von Kirchbach sieht es in dem "quicklebendigen Szenebezirk" gerade richtig platziert. Als Vorsitzende des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg freut sie sich auf neue Begegnungsmöglichkeiten über die gewohnten Gremienstrukturen hinaus. Der katholische Weihbischof Matthias Heinrich sieht ebenfalls einen "großartigen Entwurf". Ihn spricht besonders der "Charme einer klösterlichen Gemeinschaft" an.

Nach strengen Ordensregeln wird es in dem Wohnheim allerdings nicht zugehen, wie Pater Gerold Jäger betont, der für das Sankt-Adalbert-Projekt verantwortlich ist. Die bis zu 40 Bewohner verpflichten sich zu einem gemeinsamen Abend pro Woche und einer Reihe weiterer Zusammenkünfte übers Jahr, sollen ihr Zusammenleben sonst aber weitgehend selbst gestalten. "Chemin Neuf" müssen sie dabei nicht angehören oder beitreten, wie Jäger betont. "Wir wollen ihnen in ein bis zwei intensiven Jahren helfen, ihren christlichen Glauben zu vertiefen." In 27 weiteren Wohnheimen weltweit hat sich dieses Konzept nach den Worten des Paters bereits bewährt.

Beten mit Blick auf die Stadt

Die baulichen Voraussetzungen dafür in Berlin konzipieren seit fünf Jahren das Architekten-Paar Uwe Welp und Christiane Tenbohlen-Welp. "Es hat uns immer mehr fasziniert, diesen Ort aus dem Dornröschenschlaf zu wecken", so Welp. Nach ihrem Plan kommt der Besucher erst in den Empfangsbereich des Ökumene-Zentrums, weitere Seminarräume sowie die Gruppen- und Einzelzimmer des Wohnheims befinden sich in den oberen Etagen. Ein Dachgeschoss wird zu der ungewöhnlichen "Gebetshütte" umgestaltet, einem Raum mit großer Fensterfront nach Süden. Die von einer jüdischen "Laubhütte" inspirierte Konstruktion soll zeichenhaft dafür stehen, dass das Projekt "die ganze Stadt im Blick behält", wie der Architekt erklärt.

Im Januar 2016 sollen die Arbeiten beginnen, als Kosten werden 4,8 Millionen Euro veranschlagt. "Wir haben sämtliche Risiken bedacht", versichert Welp. "Chemin Neuf" will das Projekt allein durch Spenden finanzieren. "15 Prozent sind uns durch eine Stiftung bereits zugesagt", gibt Pater Jäger bekannt. Er ist optimistisch, dass es wie bei anderen Millionen-Projekten seiner Gemeinschaft auch in Berlin gelingt.