Weltwärts nach Indien – und zurück

Indien.
Auf meine ersten Schritte auf indischem Boden fühlte ich mich wenig vorbereitet. Ein Schwall heißer, staubiger Luft fegte mir und meiner Freiwilligengruppe ins Gesicht, als wir das klimatisierte Flughafengebäude in Coimbatore (Tamil Nadu) verließen. Dann: ein buntbemalter Bus, aus dessen Boxen Bollywoodmusik schallte, Straßen voller Motorräder, Viehwägen, kleiner Laster und Rikschas. Auch in den nächsten Tagen warteten Stunde um Stunde die nächsten Herausforderungen. Mit Magenproblemen, Kulturschock und tausendundeiner Fragen starteten wir unseren Freiwilligendienst, dabei hatte ich ein Jahr vorher noch gedacht, ich würde diesen Dienst antreten um zu helfen. Falsch gedacht. Doch alles schön der Reihe nach:

Mit dem Abitur in der Hand zog es mich raus aus dem gemütlichen Potsdamer Umfeld aus Freunden, Familie und Kirchengemeinde – ein Stück von der Welt sehen und dabei möglichst noch Gutes tun, das war meine vage Vorstellung. Ich hatte mich entschieden, acht Monate in Indien zu leben, einem Land, mit dem ich bis dahin vor allem bunte Farben und orientalische Gerüche verband.

Wo lang? Weltwärts!

Gefördert wurde mein Freiwilligendienst von weltwärts, einem Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für Freiwilligendienste in Entwicklungs- und Schwellenländer weltweit. Bis dahin geisterte noch immer die Vorstellung in meinem Kopf herum, dass ich in ein „ärmeres“ Land gehen würde, um den Menschen dort zu „helfen“. Doch es soll in erster Linie ein Lerndienst sein. Jugendlichen zwischen 18 und 28 Jahren wird hier die Chance gegeben, Einblicke in entwicklungspolitische Themen zu bekommen, eine andere Kultur kennenzulernen und somit zu lernen, dass es auch andere Lebensweisen gibt als die, die man bisher als „normal“ empfunden hat.

Weltwärts übernimmt 75% der Kosten eines Freiwilligendienstes. Eigentlich sollen die Jugendlichen durch das Geld Einblicke bekommen und die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen. In vielen Projekten werden sie jedoch als billige Arbeitskräfte, oft als Englischlehrer benutzt und eingesetzt. Dabei lernt man als Jugendlicher zweifellos auch sehr viel, doch es schränkt die Eigenständigkeit der Menschen vor Ort ein und setzt auch falsche Signale. Die Rolle eines Freiwilligen soll bei weltwärts eine andere sein als die des „allwissenden, gebildeten Weißen“ in einem Entwicklungsland.

Grenzgänger, Brückenbauer

Meine Entsendeorganisation war die hessische Karl-Kübel-Stiftung (KKS). Die KKS schickt ihre Freiwilligen seit mehreren Jahren in Zweier-Teams in die von ihnen geförderten indischen Partnerorganisationen. Dort hat man erstmal einen luxuriösen Praktikantenstatus. Zwei indische Mentoren halfen uns, die ersten Schritte im neuen Land zu gehen. Wir, meine Mitfreiwillige und ich, lebten und arbeiteten bei der Nicht-Regierungsorganisation REAL (Rural Education and Action for Liberation). Wir konnten uns in deren Geschäftsstelle in der Stadt Pondicherry bei Dokumentationsaufgaben und in einer Zweigstelle im Dorf S. Pudur in einem Kindergarten einbringen. Das Freiwilligenprojekt steht unter der Überschrift „Brückenbauer“.

Wie viel wir  von den Menschen in Indien lernen können, zeigten uns viele Situationen. Wenn man, wie beispielsweise in unserer Gegend, im Bus die Straße an manchen Stellen durch den Fußboden sehen kann, an der Decke jedoch Girlanden hängen und die ganze Fahrt von lauter fröhlicher Bollywood-Musik begleitet wird. Oder wenn man merkt, dass die Menschen einen ganz selbstverständlich und gerne als Gast aufnehmen und mit einem teilen, was sie haben, auch wenn es noch so wenig ist.

Solche Erfahrungen hinterlassen Spuren, die lange bleiben. Genau diese Spuren, die wieder mit nach Deutschland kommen, sind der wesentliche Bestandteil des Brückenbauens: Indem wir als Rückkehrer in unserer Heimat von diesem Leben berichten und mit dem Bewusstsein weitergehen, dass es anderswo ganz anders funktioniert, sind im interkulturellen Verständnis schon wieder viele winzige Schritte mehr getan. Und dann lohnt sich das staatlich geförderte weltwärts-Programm auch wirklich.