Dass sich in den Schulen des Erzbistums Schulsozialarbeit etabliert hat, geht auf eine Initiative der Katholikin Gabriele Pollert zurück. Vor 17 Jahren gründete sie zu diesem Zweck mit ihrem Mann das gemeinnützige Unternehmen Theophanu, das inzwischen mit dem Sozialverband IN VIA zusammengeht.
Vermögen verpflichtet. Dieser Grundsatz, sagt Gabriele Pollert, gehört zu ihrem Selbstverständnis als Christin. Dass sie mit ihrem Eigentum anderen Gutes tut, rührt auch aus ihrer Dankbarkeit. „Mein Mann und ich haben viel Glück gehabt im Leben“, betont sie, „und daran möchten wir gerne andere teilhaben lassen.“
In die gemeinnützige GmbH Theophanu hat sie Geld eingebracht, das ihr Mann Georg Pollert mit seinem börsennotierten Biokraftstoff-Unternehmen erwirtschaftet hat – und ihren Optimismus, ihre Energie, ihre Zielstrebigkeit, ihre vielfältigen Kontakte, ihre Fachkompetenz als Sozialarbeiterin, Ökonomin, Mentorin und promovierte Erziehungswissenschaftlerin. In ihrer Heimat im Erzbistum Freiburg gehörte sie zu den Pionierinnen der Schulsozialarbeit, gemeinsam mit einer Freundin hat sie 2011 das Buch „Schülerleben – Sozialarbeit an Schulen“ herausgegeben.
Vermögen ermöglicht, eigene Akzente zu setzen
Gegen manche Anfangswiderstände, aber mit Unterstützung der Schulleiter, die einen großen Bedarf für ihre Einrichtung sahen, hat Theophanu 2007 die ersten beiden Sozialpädagoginnen für die katholische Grundschule St. Franziskus in Berlin-Schöneberg und die Oberschule St. Marien in Neukölln angestellt.
Die Qualität und pädagogische Kompetenz der dortigen Schulsozialarbeit sprach sich herum, so dass – finanziell unterstützt von Sponsoren und öffentlichen Zuwendungen – bald auch staatliche Schulen in Berlin und Brandenburg die Zusammenarbeit mit dem noch jungen Kinder- und Jugendhilfeträger suchten. Für die katholischen Schulen übernimmt das Erzbischöfliche Ordinariat inzwischen einen Großteil der Personalkosten.
Parallel entwickelte Gabriele Pollert das Konzept für die Christliche Montessori Kindertagesstätte Senfkorn in Berlin-Frohnau und übernahm die von einer Elterninitiative gegründete Einrichtung 2017 in die Trägerschaft von Theophanu. In weiteren Kindertagesstätten ist der Träger, der seit 2016 vollwertiges Mitglied im Caritasverband ist, engagiert und an zwei Schulen für die Ganztagsbetreuung verantwortlich.
Nachdem sich Theophanu im Bildungsbereich Berlins und Brandenburgs fest etabliert hatte, begann sich Gabriele Pollert allmählich aus der Geschäftsführung zurückzuziehen. Sie übergab ihre Leitungsaufgabe 2019 an Nadine Schröder und begann gleichzeitig, den Zusammenschluss mit IN VIA, dem Katholischen Verband für Mädchen und Frauensozialarbeit im Erzbistum Berlin, auf den Weg zu bringen. „Die Tätigkeitsfelder von IN VIA und Theophanu ergänzen sich ideal“, sagt die Theophanu-Gründerin, die seit 2009 ehrenamtliche Vorsitzende bei IN VIA war.
Hervorgegangen aus der ersten Bahnhofsmission Deutschlands am Schlesischen Bahnhof (heute: Ostbahnhof) gründete sich der Verein kurz vor dem Ersten Weltkrieg, um hilflosen und Arbeit suchenden Mädchen Schutz zu geben. Das Aufgabenspektrum wuchs und umfasst heute neben der Bahnhofsmission am Ost- und Hauptbahnhof den Flughafensozialdienst, einen Freiwilligendienst, die Beratungsstelle für von Menschenhandel und sexueller Gewalt betroffene Mädchen und Frauen, den Jugendmigrationsdienst und den Mädchen- und Frauentreff.
Mit der Anfang Juni vollzogenen Verschmelzung der beiden sozialen Träger zur IN VIA gGmbH sollen insbesondere die Finanzierung der Arbeit von IN VIA und die dortigen Arbeitsplätze langfristig gesichert werden. „Gemeinsam können wir gestärkt in die Zukunft gehen, um die Herausforderungen schwieriger Finanzierungsbedingungen, den Fachkräftemängel und den demografisch bedingten Rückgang von ehrenamtlichem Engagement gut zu bewältigen“, sagt Gabriele Pollert.
Bei aller Freude über den vollzogenen Schritt ist die 68-Jährige auch ein wenig wehmütig gestimmt. „Ich habe viel Herzblut in den Aufbau von Theophanu hineingegeben. Es ist in gewisser Weise mein Baby“, räumt sie ein. Ein Kind loszulassen, ist immer auch schwer, weiß sie. Ihr Glaube helfe ihr sehr dabei. „Ich fühle mich im Loslassen von Gott getragen“, sagt sie.
Der Einsatz des Privatvermögens habe ihr eine gewisse Unabhängigkeit von aktuellen politischen Zwängen verschafft, schätzt Gabriele Pollert ein, die sich selbst auf Stadtbezirksebene für die CDU engagiert. Sie konnte auf Not reagieren, die von den jeweiligen Verantwortungsträgern nicht erkannt oder als nachrangig wichtig eingestuft worden sei.
„Das Klima an der Schule hat sich verbessert“
„Caritas ist meine Berufung, und das Engagement im Bildungsbereich liegt mir besonders am Herzen“, sagt sie. In der mit ihrem Mann 2015 gegründeten Theophanu-Stiftung bleibt nicht nur der Name ihrer einstigen Firmengründung erhalten, sondern auch ein Stück der Freiheit, diese Berufung zu leben. Die Stiftung, der laut Satzung immer ein Mitglied der Familie Pollert vorstehen wird, ist gemeinsam mit IN VIA Deutschland Gesellschafterin der neuen IN VIA gGmbH. Darüber hinaus unterstützt sie mit den Zinsen des Stiftungsvermögens Projekte, die dem Ehepaar Pollert am Herzen liegen, wie zum Beispiel den Neubau eines Betriebskindergartens an der Berliner Caritas-Klinik St. Dominikus.
Ursprünglich hatten sie und ihr Mann geplant, nach fünf Jahren in Berlin wieder nach Süddeutschland zurückzukehren. Bisher haben sie den Eindruck, hier weiterhin gebraucht zu werden, als Experten und Impulsgeber. Gerade beteiligt sich Gabriele Pollert mit IN VIA an den Planungen für eine Schutzwohnung, in denen Mädchen Zuflucht finden, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. „Die vorhandenen Frauenhäuser sind nur auf Volljährige ausgerichtet“, erläutert sie.
Schulsozialarbeit gewinne seit einigen Jahren immer mehr an Bedeutung. Sie schlage Brücken zwischen den Schulen und den Elternhäusern, fördere das soziale Lernen und unterstütze Schüler in der Berufsorientierung. „Ohne die Schulsozialarbeit hätte ich meinen Abschluss nicht geschafft“, hörte Gabriele Pollert bei einer Schulabschlussfeier von einer Absolventin. „Das Klima an unserer Schule hat sich verbessert, seit wir Schulsozialarbeit bei uns eingerichtet haben“, bescheinigen ihr Schulleiter. Solche Sätze ermutigen sie, ihrer Berufung weiterhin zu folgen.