Kaum ein Fluss wurde so sehr zum Synonym für eine Grenze wie die Oder. Heute steht sie für Verbindung, wie bei der Serie „Katholisch in Brandenburg“ ein Besuch in Schwedt zeigt.
Wogender Weizen wechselt mit trutzigen Feldsteinkirchen, schmucken Eigenheimen und gepflegten historischen Gutsanlagen. Erste Stoppelfelder verschmelzen mit dem Horizont, bis die endlose Weite jäh unterbrochen wird von einer Raffinerie- Silhouette – das Wahrzeichen von Schwedt. Mit ihrer Raffinerie, die rund 10 Prozent der erdölverarbeitenden Kapazitäten in Deutschland ausmacht, und den Papierwerken ist Schwedt einer der großen Wirtschaftsstandorte im Land Brandenburg und zugleich 1. Nationalparkstadt Deutschlands. Schwedt überrascht als Synthese von Industrie und Natur, Schwedt schafft Verbindung, auch im kirchlichen Raum.
Zuzug von Polen veränderte die Gemeinde
Die Tageslesung ist zu Ende, eine Frauenstimme erhebt sich: wunderschön, klar und kräftig. Es sind polnische Worte und doch kann man sie verstehen, denn man spürt ihre Innigkeit und Wärme. Die zweite, ebenfalls in polnisch gehaltene Lesung schließt sich an. Dann findet der Gottesdienst seine Fortsetzung in deutscher Sprache, bis die Vorsängerin als Danklied „Liczę na Ciebie, Ojcze“ anstimmt. Ich baue auf dich, Vater – ein tiefes Vertrauen auf den Herrgott, das deutsche und polnische Gläubige vereint, und auf seine Fügungen. So ist die Gemeinde dankbar, nach dreijähriger Vakanz wieder einen, ihren Pfarrer zu haben. Pfarradministrator Piotr Szczerbaniewicz hat die Pfarrei im September übernommen, dabei unter anderem die deutsch-polnische Messe fortgeführt.
Sie findet jeweils am ersten Sonntag im Monat mit einem anschließenden Kirchencafé statt. Auch heute ist die Kirche trotz Ferien mit 130 Gläubigen sehr gut besucht, ebenso das Kirchencafé, bei dem sich deutsche und polnische Gemeindemitglieder bei rustikalen Schmalzbroten und selbstgebackenem Kuchen austauschen. Was heute ein Stück Normalität darstellt, war und ist ein langer Weg, erzählen einige der Café-Besucher. Der starke Zuzug polnischer Gläubiger, deren Anteil heute bereits bei 45 Prozent liegt, verändert die einst sehr homogene Gemeinde.
Sie besteht in ihrem jetzigen Kern aus Kriegsflüchtlingen, ihren Familien und Nachkommen sowie in „zweiter Generation“ aus Zuzügen durch den Bau des Petrolchemischen Kombinates (PCK) in den 1970er Jahren oder durch Berufsausbildung oder Arbeit in der Papierfabrik. Zu ihnen gehören die Familien Bienek und Ertl. Kirchenvorstands- Mitglied Norbert Bienek hat die Entwicklung des PCK über 20 Jahre miterlebt und mitgeprägt. Über 8000 Beschäftigte fanden hier Lohn, Brot und ein Zuhause, erzählt er, nach der Wende reduzierte sich ihre Zahl auf 1200, sank die Einwohnerzahl von 54 000 auf 30 000. „Unsere Kinder sind alle weg, bis auf wenige Ausnahmen“, ergänzt Monika Bellan aus Angermünde. Geblieben ist der einstige Stamm mit einer sehr lebendigen Gemeinschaft und Gemeindearbeit von Glaubensabenden, Kirchenchor, Kleine Kinder Kirche, ökumenischen Sternsingern bis hin zur Seniorenrunde. Nun kommt mit den polnischen Nachbarn die dritte Generation, die Pfarrei wuchs auf 2000 Mitglieder, davon schwerpunktmäßig auf 1000 in Schwedt, je 500 sind es an den Standorten Angermünde und Gartz.
Für die kleiner werdende Kerngemeinde ist diese Entwicklung Grund zur Freude, aber auch Herausforderung, so sieht es die Tischrunde um Norbert Bienek. Sprachbarrieren, andere Formen von Frömmigkeit und Liturgie, fremde Traditionen, ein unterschiedliches (Selbst-)Verständnis von Kirche und eigener Identität als auch noch immer Lasten der Vergangenheit erweisen sich als Hemmnisse. Daher ist es das besondere Anliegen des neuen Pfarrers, denen, die schon lange da sind, ihre Heimat in Kirche und Gemeinde zu bewahren und den Zugezogenen ein neues Zuhause zu geben. Das macht den gebürtigen Polen zu einem geborenen Brückenbauer.
Familiäre Atmosphäre versus Großgemeinde
Als echte Brückenbauer erweisen sich auch Katarzyna Kunicka und Anna Kaminska-Glück, die gerade im Kirchencafé und in der Küche rührig sind. Hier lüftet sich auch das Geheimnis der schönen Gottesdienst-Stimme, die zu Katarzyna Kunicka gehört. Die Schauspielerin ist seit drei Jahren in der Musicalsparte der Uckermärkischen Bühnen Schwedt engagiert und bereichert mit ihrem Gesang regelmäßig die deutsch-polnischen Gottesdienste und die Kirchenmusik. Sich mit seinen guten Gaben einbringen, diesen Anspruch teilt sie mit Anna Kaminska-Glück. Diese leitet im 50 Kilometer entfernten Stettin ein Bildungsunternehmen, ihr Mann eine eigene Firma in Schwedt, die Tochter wechselt auf das hiesige Gymnasium. In den eineinhalb Jahren ihres Hierseins hat die couragierte Frau die familiäre Atmosphäre in Mariä Himmelfahrt gegenüber polnischen Großgemeinden schätzen gelernt, möchte diese Erfahrung an ihre Landsleute weitergeben. Denn ein Teil von ihnen besucht der Vertrautheit wegen nach wie vor lieber einen polnischen Gottesdienst gleich hinter der Grenze.
„Aber Schwedt ist jetzt unser Zuhause und unsere Gemeinde, die wir mit unserer Anwesenheit in der Kirche unterstützen wollen“, ist ihre Überzeugung. Ab Herbst will sie gemeinsam mit einem deutschen Kollegen wöchentliche Sprachkurse in der Gemeinde anbieten, Deutsch für Polen und Polnisch für Deutsche. „Wir machen weiter Werbung“, ergänzt Sängerin Katarzyna Kunicka. Diese kann Schwedt gut gebrauchen, denn nun steht die Pfarrei vor der Aufgabe, als eine Gemeinde in eine neue Verbindung zu gehen.
„Wir brauchen einen Helikopter“
So startet am 12. Dezember der Pastorale Raum Uckermark mit den Pfarreien Prenzlau und Templin, ein Territorium so groß wie das Saarland. „Wir brauchen einen Helikopter“, sagt Norbert Bienek, doch hinter dieser scherzhaften Bemerkung verbergen sich Ungewissheit und viele Fragen. Wer wird diesen Großraum zusammenhalten können, was wird aus den Anwesen, um die sich Ehrenamtliche über Jahrzehnte mit Herzblut gekümmert haben, und warum wurden nicht die Dekanatsstrukturen übernommen? „Zu viel Vertrautes fällt zusammen“, sagt Monika Bellan, befürchtet, dass die Seelsorge zu kurz kommt.
Der Ur-Schwedter Georg Richter hat seine Antwort und seinen Weg gefunden und sich zum Diakon ausbilden lassen. Ab September wird der IT-Unternehmer in und für seine Gemeinde dasein, dabei auch in den Pastoralen Raum hineinwirken. Schwerpunkt bleibt auch in dieser neuen Verbindung das Thema Bindung und Einbindung, das deutsch-polnische Miteinander in der Oderregion. Georg Richter setzt dabei besonders darauf, über die gemeinsame Kinder- und Jugendarbeit auch die Eltern zu erreichen. „Denn diese Kinder, deutsche und polnische, sind unsere Hoffnung und Zukunft“ im Vertrauen auf den einen, gemeinsamen Vater: „Liczę na Ciebie, Ojcze!“