Nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz wurde immer wieder auch die Notfallseelsorge lobend erwähnt. Bruder Norbert Verse und sein evangelischer Kollege Pfarrer Matthias Motter berichten im Interview.
Wie haben Sie den Anschlag auf dem Breitscheidplatz erlebt?
Motter: Zum Anschlagszeitpunkt war ich ja nicht vor Ort, aber ich bin etwa eine Stunde danach dort
eingetroffen. Da waren die Rettungsarbeiten noch voll im Gange, es wurde hochprofessionell von Feuerwehren und Rettungsdienst gearbeitet und wir waren als Psychosoziale Notfallversorgung dort eingegliedert. Ich wurde durch einen leitenden Notarzt in die Betreuung geschickt und habe zunächst mit Leichtverletzten zu tun gehabt. Später haben wir Notfallseelsorger auch Angehörige, die zum Anschlagsort gekommen sind, auf der Suche nach anderen Personen betreut.
Br. Norbert: Direkt war ich an diesem Einsatz nicht beteiligt. Als ich von dem Alarm erfahren habe, waren bereits genug Kollegen vor Ort. In der zweiten Reihe, bei den Gedenkgottesdiensten und in der Einsatznachsorge, war ich teils mit dabei. Wie gehen Sie mit Menschen um, die einen solchen Anschlag überlebt haben? Viele stehen sicher unter Schock.
Motter: Jeder Mensch nimmt das anders wahr und geht anders damit um. Unsere Aufgabe ist vor allem, durch eine verlässliche Anwesenheit wieder ein Stück Stabilität für diese Menschen zu geben, die in dieser Situation alle Sicherheit und alles Vertrauen verloren haben. Wir können nur dableiben, mit aushalten und versuchen, wo es geht zu helfen.
Wie ist der Ablauf, wenn Sie zu einem Einsatz gerufen werden?
Br. Norbert: Die Alarmierung kommt immer von Polizei oder Feuerwehr. Die Einsatzkräfte vor Ort oder in der Leitstelle entscheiden, wann es gut wäre, die Notfallseelsorge dabei zu haben. Dann melden sie sich bei uns. Der diensthabende Notfallseelsorger nimmt den Einsatz an, notiert alle wichtigen Informationen und gibt den Einsatz weiter – möglichst an einen Notfallseelsorger oder Kriseninterventionshelfer aus der
entsprechenden Region, damit die Anfahrtswege kurz sind. Wenn klar ist, dass mehrere Einsatzkräfte gebraucht werden – wie bei dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz – können wir über ein automatisches
Alarmierungssystem sozusagen per Knopfdruck eine größere Gruppe erreichen.
Haben Notfallseelsorger auch manchmal Angst?
Br. Norbert: Angst – das weiß ich nicht. Befürchtungen, Anspannung und Nervosität schon. Auf dem Weg zu einem Einsatzort macht man sich schon seine Gedanken: Was erwartet mich? Finde ich die richtigen Worte? Gute Vorbereitung, Professionalität und Achtsamkeit helfen uns natürlich, solche Einsätze anzugehen und zu verarbeiten.
Motter: Wir sind eingebunden in die Polizei- und Feuerwehr-Systeme und verlassen uns darauf, dass die dafür sorgen, dass wir nur dorthin gehen, wo wir unsere Arbeit tun können, ohne gefährdet zu sein. Die Gefahr blende ich dann aus, konzentriere mich in professioneller Weise auf meine Arbeit und weiß: Für die Rahmenbedingungen sorgen jetzt andere. Dass man sich hinterher auch Gedanken macht, ist ganz normal.
Wie kommen Sie im Nachhinein mit dem Erlebten zurecht?
Motter: Wir haben regelmäßige Treffen, bei denen wir uns austauschen. Besonders belastende Einsätze
werden mit allen Beteiligten in eigenen Treffen nachbereitet.
Fragen: Cornelia Klaebe
„Erste Hilfe für die Seele“
Die Notfallseelsorge Krisenintervention Berlin hilft seit 20 Jahren, wenn Menschen durch ein erschütterndes Ereignis aus ihrer normalen Lebenswelt herausgerissen werden. Die meisten Einsätze
finden nicht im öffentlichen Raum statt: Es handelt sich beispielsweise um Begleitung der Polizei beim Überbringen von Todesnachrichten – auch da leistet die Notfallseelsorge „Erste Hilfe für die Seele“. Das
Angebot richtet sich an alle Hilfesuchenden unabhängig von der Weltanschauung. Träger der Notfallseelsorge sind die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz und das Erzbistum Berlin in Kooperation mit fünf Hilfsorganisationen und in Zusammenarbeit mit muslimischen
Notfallseelsorgern und Ansprechpartnern anderer Religionsgemeinschaften. Informationen zur Mitarbeit
in der Notfallseelsorge gibt es beim Diözesanbeauftragten Diakon Norbert Verse unter
0 30 / 47 51 72 64 oder notfallseelsorge(ät)erzbistumberlin.de