Die Angst tauen lassen

Die beiden Tauwerk-Hauptamtlichen: Koordinatorin Katharina Wönne (links) und Leiterin Schwester Hannelore vor dem Gedenkvorhang. | Foto: Marina Dodt

Am 23. September beginnt die diesjährige Berliner Hospizwoche mit über 30 Veranstaltungen. Dabei stellt sich auch der aus einer franziskanischen Initiative entstandene Hospizdienst „Tauwerk“ aus Berlin-Pankow vor.

Sabine ist in freudig-gespannter Erwartung. Heute wird sie zum ersten Mal Matthias* treffen. Wie wird er sich auf die Begegnung einlassen, wie wird er reagieren, sie annehmen? Der Mittfünfziger Matthias lebt seit Jahren in einer Pflegeeinrichtung, kann infolge seiner schweren HIV-Erkrankung nicht mehr sprechen. Außer seiner Mutter hat er daher kaum noch soziale Kontakte. Sabine Jax wird sich heute als seine neue, ehrenamtliche Begleiterin vorstellen. Neun Monate hat sie sich auf ihre neue Aufgabe vorbereitet, beim Hospizdienst „Tauwerk“ eine Ausbildung absolviert.

Die von den beiden Franziskanerinnen von Münster-St. Mauritz, Schwester Hannelore und Schwester Juvenalis, gegründete Initiative ist bundesweit der einzige ambulante Hospizdienst mit spezieller Ausrichtung auf die Begleitung schwerkranker und sterbender Menschen mit Aids. Heute unterstützen 30 ehrenamtliche Helfer dieses Werk unter dem franziskanischen „Tau“, das auch ein Stück Angst vor Ausgrenzung, Anonymität und sozialer Kälte tauen lässt.

Bestehende Pflegedienste ergänzen

In Ergänzung zu den bestehenden Pflegediensten möchte das „Tauwerk“ dazu beitragen, nach den je eigenen, individuellen Wünschen das Leben bis zuletzt gestalten zu können, erläutert Koordinatorin Katharina Wönne, zum Beispiel durch Gesprächsangebote und psychosoziale Begleitung, Beratung zur palliativen Versorgung, Hilfe bei der Gestaltung des Alltags bis hin zu einem Spaziergang oder kleinen Ausflug im Rollstuhl.

Seit seiner Gründung im April 1997 hat der Verein fast 500 Patienten betreut, 380 von ihnen sind inzwischen gestorben. Jeder Einzelne ist mit seinem Vornamen auf einem Gedenkvorhang verewigt. „Jedem habe ich etwas zu verdanken“, sagt Schwester Hannelore, „das sind meine besten Lehrmeister“. Das Thema Aids ist nicht vom Tisch, warnt sie vor zunehmender Sorglosigkeit. Zwar sei die Zahl der bundesweit zirka 3000 jährlichen Neuerkrankungen relativ konstant, dennoch gebe es nach Schätzungen des Robert- Koch-Instituts fast 13 000 Personen, denen ihre HIV-Infektion nicht bekannt ist. Daher gehört auch Prävention zu den „Tauwerk“-Schwerpunkten. Ein weiterer ist die tatkräftige Hilfe für die Angehörigen Schwerstkranker und Sterbender, etwa mit dem „Letzte-Hilfe-Kurs“ zu den Themen Sterben – Teil des Lebens, Vorsorgen und Entscheiden, Nöte lindern, Abschied, Trauer. Im Rahmen der Hospizwoche wird der Kurs am 28. September von „Tauwerk“ erstmals in Form eines Workshops angeboten.

Und dann kommen da diese Nonnen …

Auf ganz andere Weise lernte Sabine Jax „Tauwerk“ kennen, in einer berührenden Geschichte, wie sie nur das Leben schreibt. Die gebürtige Ostberlinerin, bis dahin ohne kirchliche Kontakte, besuchte mit einer Freundin ein Konzert des Chansonniers Tim Fischer, der seine Zuhörer nach dem Konzert um eine Spende zur Unterstützung der Arbeit des „Tauwerks“ bittet. „Und dann kommen da diese lebensfrohen Nonnen auf die Bühne, das hatte ja mit Sterben so überhaupt nichts zu tun“, erinnert sie sich. Diese Nonnen traten nicht nur auf die Bühne, sondern auch in das Leben von Sabine Jax. Zunächst engagiert sie sich weiter ehrenamtlich als Lesepatin für Kinder, doch das Konzerterlebnis lässt sie nicht los. Sie recherchiert im Internet, bis sie Schwester Hannelore wiedererkennt und „Tauwerk“ wiederfindet. Dann geht alles ganz schnell: Erstkontakt, ein ausführliches Kennenlerngespräch, die Ausbildung mit Praktikum, bei der sie sich immer mehr als „Wunscherfüllerin“ erlebt und versteht. Einem Menschen seine letzten Wünsche zu erfüllen, ihm ein kleines Stück bisher nicht gelebtes Leben geben zu können, ist für sie das größte Geschenk. Und dann jener Freitag vor drei Wochen, als sie Matthias zum ersten Mal trifft. Die Anspannung habe sich schnell gelöst, erzählt sie freudig und wie sie ihn auch ohne Worte verstand. „Und dann habe ich ihm meinen Arm angeboten und er hat mich angeschaut.“

www.hospiztauwerk.de; www. hospizwoche.de; *Name geändert