Berlin. Kinder mit suchtkranken Eltern sind einem sechsfach höheren Risiko ausgesetzt, selbst suchtkrank zu werden oder psychische Störungen zu entwickeln. Dagegen will ein neues Caritas- Projekt in Berlin-Spandau etwas tun.
Bevor das Treffen los geht, ziehen sich die Kinder eine Wetterkarte. Sie zeigen so, wie es ihnen an diesem Tag geht, ohne dafür Worte machen zu müssen. Am Ende der Nachmittagseinheit legen sie sich zu Entspannungsübungen auf den Boden.
Es handelt sich hier nicht um eine Therapie für verhaltens- oder sprachgestörte Kinder und doch geht es um solche, deren Leben durch besondere Einschränkungen geprägt ist. Die Rede ist von den Kindern suchtkranker Eltern. Für sie hat die Spandauer Jugendund Suchtberatung der Caritas, unterstützt vom Spandauer Bezirksamt, ein langfristiges Gruppenangebot eingerichtet, das letzten Mittwoch an den Start ging.
Zuvor gaben die am Projekt Beteiligten Auskunft über das in Berlin bislang einzigartige Vorhaben. Vorausgegangen war ein neunwöchiges Kursprogramm, das 2015 mit finanzieller Unterstützung der Bonifatius-Stiftung begonnen hat. Es zeigte sich aber, dass dieser Ansatz zu schematisch und seiner Kürze wegen nur bedingt von Nutzen ist. So entstand in enger Kooperation mit dem Koordinator für Suchthilfe im Bezirksamt Spandau, Dirk Welzel, und dem Bezirksstadtrat für Gesundheit, Frank Bewig, das nun ins Leben gerufene Angebot.
In Spandau sind 6000 bis 6500 Kinder betroffen
Den Bedarf veranschaulichte Bewig mit einem Rechenbeispiel: Ausgehend von deutschlandweit etwa zweieinhalb Millionen Kindern, die mit mindestens einem suchtkranken Elternteil leben, geht er für Spandau von 6000 bis 6500 betroffenen Kindern aus. Er hat sich deshalb dafür stark gemacht, dass der Bezirk das Projekt mit zehntausend Euro pro Jahr finanziert. Das gilt zunächst für das laufende und das kommende Jahr. Dann wird, ausgehend vom Erfolg, neu entschieden werden.
Verantwortlich für die Durchführung sind die Kinder- und Jugendtherapeutin Ilka Rhein und Katharina Walzog, die Leiterin der Spandauer Kindertagesstätte St. Marien. In deren Räumen findet das Gruppenangebot jeden zweiten Mittwoch von 17 bis 19 Uhr statt. Teilnehmen können betroffene Kinder von sieben bis elf Jahren. Dabei geht es, wie Frau Rhein erläuterte, darum, den Kindern Strategien des Umgangs mit ihrer Situation zu vermitteln und sie bereit zu machen, sich darüber auszutauschen; letztlich um die Stärkung des Lebensmutes und der Hoffnung, auch in ihrer Lage Freude am Leben erfahren zu dürfen. Aber auch, wie Frau Walzig ergänzte, darum, zu sehen, dass auch andere Kinder in derselben Lage sind, sich untereinander davon zu erzählen und auch einmal sorglos miteinander zu spielen.
„Jedes Kind und jede Familie zählt“
Für dieses Jahr angemeldet sind sieben Kinder, eine recht kleine Zahl. Aber, wie Rolf Göpel, Regionalleiter der Berliner Caritas, bemerkte: „Jedes Kind und jede Familie zählt.“ Und es braucht Zeit, bis sich die von Scham und Schuldgefühlen geplagten Eltern dafür entscheiden, ihr Kind in eine solche Gruppe zu schicken. Gut wäre es, wenn sich mehr dazu überwinden könnten, denn Kinder mit suchtkranken Eltern sind einem sechsfach höheren Risiko ausgesetzt, selbst suchtkrank zu werden oder psychische Störungen zu entwickeln.