Erleben, dass Gott handeltTagung beschäftigt sich mit Liturgie und Ritualen im Wandel

Morgenritual: Mit einem Körpergebet begann die Tagung „Liturgie und Ritual im Wandel“. Foto: Alfred Hermann

Nur zehn Prozent der Katholiken im Erzbistum besuchen regelmäßig die Sonntagsmesse. Und in den neuen Pastoralen Räumen wird die Frage nach der Liturgie neu gestellt werden müssen. Mit der „Menschenfähigkeit der Liturgie“ beschäftigte sich eine Tagung des Seelsorgedezernats.

„Meine Seele streckt sich aus nach dir“, betet die Vorbeterin. Mehr als hundert Frauen und Männer strecken ihre Arme in die Höhe – „Öffne mich für diesen Tag“ – und beschreiben mit ihnen einen Kreis zur Seite. „Lass mich die Zeichen deiner Gegenwart erkennen.“ Mit einem Morgenritual beginnt die Tagung „Liturgie und Ritual im Wandel“, die in den Räumen der St. Elisabeth-Gemeinde in Berlin- Schöneberg stattfand. Eingeladen hatten das Referat „Missionarische Seelsorge“ des Dezernats Seelsorge des Erzbischöflichen Ordinariats in Kooperation mit den Dezernaten Personal und Schule.

„Wie ,liturgiefähig‘ sind diejenigen, die punktuell mit unseren Feiern und Ritualen in Kontakt kommen? Und wie ‚transzendenzoffen‘ sind wir wirklich? Gibt es so etwas wie eine missionarische Liturgie?“ – heißt es in der Ausschreibung. Drängende Fragen: denn nur zehn Prozent der 410 000 katholischen Christen des Erzbistums Berlin besuchen regelmäßig die sonntägliche Eucharistiefeier.

Für Taufe, Eheschließung und Begräbnis wenden sich zwar auch heute noch vermehrt fernstehende Kirchenmitglieder an ihre Pfarreien, doch zeigt die Erfahrung: mit ganz unterschiedlichen Erwartungen. Hinzu kommt der Pastorale Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“. Die Frage nach der Liturgie wird in den Pastoralen Räumen neu gestellt werden müssen. Im ersten Impulsvortrag richtete der Freiburger Religionssoziologe Professor Michael Ebertz den Blick nach Außen und betrachtete den Umgang mit Alltagsritualen. Er kam zu dem Schluss, dass der Mensch per se ritual- und liturgiefähig ist. Rituale würden den Alltag eines jeden prägen und ihn zu einem „rituell feinfühligen“ Wesen machen. „Es liegt also nicht am modernen Menschen“, folgerte er schließlich, „wenn es nicht funktioniert, ihn in die Begegnung mit Gott zu bringen.“

„Die Gläubigen sind nicht das Publikum“

Professor Alexander Saberschinsky, Liturgiereferent im Erzbistum Köln, fragte im zweiten Impulsvortrag: „Geht es uns um die Liturgiefähigkeit der Menschen oder um die Menschenfähigkeit der Liturgie?“ Stichhaltig begründete der Liturgiewissenschaftler, dass Kirche an der Menschenfähigkeit der Liturgie arbeiten muss. „Die Gläubigen sind nicht das Publikum, das vor Gott erscheint, sondern Gott will sich ihnen zuwenden. Das sollen die Rituale der Liturgie erlebbar machen.“ Es gelte, sich auf die Perspektive des Mitfeiernden einzulassen, seine Erwartungen ernst zu nehmen, ohne dabei das Wesen der Liturgie – Glaubensvollzug zu sein und Glaubensinhalte zu konkretisieren – preiszugeben. Damit umschrieb er das schwierige Spannungsfeld, in der Liturgie sich heute bewegt.

Wenn sich ein Paar den Kleinen Prinzen statt einer biblischen Lesung in seiner Trauung wünsche, verdeutlichte Saberschinsky mit einem Beispiel, solle der Kleine Prinz weder verweigert noch die Lesung aus der Heiligen Schrift durch ihn ersetzen werden. Wichtig sei es vielmehr, den Bezug zwischen dem Wort Gottes und dem, was für die Brautleute im Kleinen Prinzen zum Ausdruck komme, deutlich zu machen. „Ziel muss es sein, im Gottesdienst erleben zu dürfen, dass Gott auch in der Geschichte meines Lebens handelt, um schließlich dieses Leben erneut vor Gott zu bringen.“

Am Nachmittag konnten die Teilnehmer in acht Workshops konkrete Beispiele kennenlernen: Straßenexerzitien, Segensfeiern als Alternative zur Jugendweihe, rituelle Diakonie im Krankenhaus oder das Kompetenztraining für Kinder „Fit für den Gottesdienst“. Professor Saberschinsky erläuterte anhand von Sinus-Milieus Möglichkeiten, wie man von Fall zu Fall mit Kirchenfernen Gottesdienst feiern könne und sprach sich für eine größere Gottesdienstvielfalt aus, mit der auf Menschen in unterschiedlicher Nähe zu Kirche und Liturgie eingegangen werden könne.

Menschen Raum schenken, die sonst keinen Ort finden

Jesuitenpater Peter Köster aus Frankfurt am Main stellte ein von ihm entwickeltes Abschiedsritual vor, das dann in der Geistlichen Begleitung eingesetzt wird, wenn jemand nicht loslassen kann, aber Abschied nehmen muss von einem liebgewonnenen Menschen, einem Beruf, einer Beziehung, einem Lebenstraum. Augustinerpater Dominik Wernicke präsentierte das ZwischenRaum-Ritual, das einmal im Monat in der Augustinerkirche in Würzburg gehalten wird, eine halbstündige Liturgie, die der Trauer und der Traurigkeit von Menschen Raum geben soll. „Wir schenken allen Menschen Raum, die sonst keinen rituellen Ort für ihre besondere Lebenssituation finden.“