Marina Dodt besucht für die Serie „Katholisch in Brandenburg“ die selbsternannte Hauptstadt des Oderbruchs: Wriezen. Die ungewisse Zukunft der katholischen Kirche St. Laurentius steht symbolhaft für die Situation der Kirche vor Ort.
Das erste Sommergewitter des Jahres zieht sich grollend zurück, die Barnim-Kreisstadt Eberswalde sorgt mit schweren Überschwemmungen für Schlagzeilen. Trotzdem macht sich Pfarrer Bernhard Kohnke auf den Weg ins 30 Kilometer entfernte Wriezen zur Vorabendmesse. Die Leute da draußen warten auf ihn. In seinem milden Licht läuft die hügelige Barnimlandschaft in die Niederungen des Oderbruchs aus, die Kulturlandschaft des Alten Fritz. Die knapp 8000 Einwohner zählende Kleinstadt Wriezen als Tor und Hauptstadt hat sich herausgeputzt. Selbst die zur Straße abfallenden Sommerwege sind sorgsam geharkt, morgen ist Sonntag. Beim Einbiegen in die Freienwalder Straße empfängt uns ein monumentaler Kirchbau. Der „katholische Dom des Oderbruchs“, sagt Pfarrer Kohnke scherzhaft und doch schwingt Ehrfurcht mit. „Sie ist unsere Größte“, erzählt er mit Blick auf die Kirchen des Einzugsbereiches der Pfarrei „St. Peter und Paul“ Eberswalde. Und in der Tat beeindruckt das Wriezener Gotteshaus „St. Laurentius“ durch Größe und doch schlichte Erhabenheit, ein Stein gewordener Zuspruch des biblischen „Ich bin da“.
„Die DDR hat ganze Arbeit geleistet.“
1913 für und von polnischen und schlesischen Schnittern erbaut und nach dem zweiten Weltkrieg Heimat für viele Flüchtlinge, war diese Größe einst durchaus angemessen. Am heutigen Samstag vereint der Gottesdienst elf Gläubige. „Wir verlieren uns“, sagt Irmgard Drescher, die ebenso wie Edeltraud Bogen und Familie Wesolek zu den treuen Seelen zählt, alle um die 80 Jahre. „Die DDR hat ganze Arbeit geleistet“, sagen sie rückblickend, die jungen Leute zog es nach der Wende westwärts. So ist es vor allem dieser alteingesessenen Generation zu danken, dass sie ihre Kirche durch alle Umbrüche und Anfechtungen getragen hat, bis hierher. St. Laurentius hat zwei Kriege und zwei Diktaturen überlebt, nun droht das Aus. Die Pfarrei wird auf Dauer nicht mehr für den Unterhalt der Kirche aufkommen können, ihr wurde der Verkauf für einen symbolischen Euro nahegelegt – das schmerzt.
„Ich bin nicht Priester geworden, um Kirchen zu schließen, sondern um die Gegenwart Gottes zu verkünden“, stellt sich Pfarrer Kohnke entschlossen gegen die (Selbst-)Aufgabe der Kirche. Gemeinsam mit der Gemeinde und ihren Gremien begab er sich auf Suche nach einer Lösung für St. Laurentius, führte Gespräche mit der Bistumsleitung, Ordensgemeinschaften sowie dem benachbarten Evangelischen Johanniter- Gymnasium, das die Kirche regelmäßig für Gottesdienste oder Zeugnisausgaben nutzt. Bisher alles ohne Erfolg.
Symbol und ein Stück Seele des Oderbruchs
„Bitte nehmen Sie uns nicht diese Kirche“, diese eindringliche Bitte möchte auch der Wriezener Wieland Johannes Chrysostomos Röhricht als ökumenischer Gottesdienstbesucher weitergeben. Er unterrichtet am hiesigen, zirka 300 Schüler zählenden Johanniter- Gymnasium unter anderem Religion und gehört der evangelischen Johannesbruderschaft an, die in Wriezen gerade ihren Ostkonvent abhielt. „Gerade weil wir so wenige sind, brauchen wir diese sichtbaren Symbole kirchlichen Lebens im Ort, besonders jetzt!“
Als Lehrer beobachte er unter den Schülern eine neue religiöse Offenheit. Nach drei Generationen plausiblen Lebens ohne Gott breche spürbar Neues auf. Dieser hoffnungsvollen Entwicklung müsse man Raum geben und brauche Geduld. „Noch immer gehören zu unserer Gemeinde in und um Wriezen rund 240 Mitglieder“, bestätigt Pfarrer Kohnke das geistliche Potenzial der Region als ein weiteres Plädoyer für den „Dom des Oderbruchs“.
Neue Räume und Wege zueinander
Um Aufbruch und neue Räume geht es auch für die jetzige Gesamtpfarrei „St. Peter und Paul“ Eberswalde mit ihren insgesamt 2200 Gläubigen. Zum 1. Januar 2021 soll der bisherige Pastorale Raum Berlin-Buch, Bernau und Eberswalde eine neue Pfarrei bilden. Dabei können Pfarrer Kohnke als Leiter der Entwicklungsphase und Pfarrgemeinderatsvorsitzender Frank Caroli als Assistent des Leiters durchaus auf eine lebendige Eberswalder „Mitgift“ verweisen, so auf das jährliche Gemeinde- und Patronatsfest oder auf den traditionellen Dekanatstag im Kloster Chorin mit bis zu 600 Teilnehmern.
Neuer Verwaltungssitz soll Bernau werden, Wandlitz bleibt ein Zentrum der Kinder- und Jugendarbeit. „Dennoch werden wir die Leute nicht in einem Rotiersystem in der Gegend rumhetzen, sondern dezentral zentralisieren, die Gemeinde als Teil der Pfarrei vor Ort erhalten“, vermittelt Pfarrer Kohnke Hoffnung, dass sich auch zu den Gläubigen am ganz äußersten Rand neue Wege erschließen.