Mit mit Dorothee Buhl und Dorothée Bünner von der Schuldner- und Insolvenzberatung der Caritas in Berlin-Pankow
Berlin. In keiner anderen Stadt Deutschlands sind so viele Menschen überschuldet wie in Berlin. Trotzdem ist das Thema ein Tabu, berichten Dorothee Buhl und Dorothée Bünner von der Schuldner- und Insolvenzberatung der Caritas. Dabei komme es darauf an, sich der Problematik zu stellen, betonen sie im Interview.
Mehr als 6,7 Millionen Bundesbürger sind überschuldet. Fast jeder zehnte Erwachsene schafft es nicht, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Können die Menschen nicht mit Geld umgehen?
Buhl: Schulden bedeuten nicht zwangsläufig, dass man nicht mit Geld umgehen kann. Auch sind sie
nicht per se verkehrt, sondern oft sogar notwendig. Vieles funktioniert nur mit einem Kredit, ein Immobilienkauf oder die Anschaffung eines neuen Autos. Heikel wird es immer dann, wenn die Schuldenlast zu groß wird und Verbindlichkeiten nicht mehr bedient werden können. Und das kann schneller gehen, als man meint – gerade wenn die Finanzen ohnehin sehr knapp sind oder sich die Einkommenssituation plötzlich ändert.
Bünner: Die Schuldenkultur ist salonfähig, sie gehört zur Gesellschaft. Man hat sich nicht nur an
einen bestimmten Standard im Lebensstil gewöhnt, sondern auch an die Aufnahme von Schulden, um diesen zu ermöglichen. Solange genug Geld da ist, ist das für die meisten auch kein Problem. Schwierig wird es erst, wenn der Punkt erreicht wird, an dem der Überblick verloren geht und die Sache aus dem Ruder gerät.
Buhl: Sicher ist die Frage des Einkommens ein ganz wesentlicher Aspekt, der gerade im Hinblick auf den Niedriglohnbereich in Berlin nicht zu unterschätzen ist: Wenn Menschen nur sehr wenig verdienen und mitunter auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind, ist es wenig verwunderlich, wenn sie finanziell nur schwer zurechtkommen. Deutschlandweit ist fast jeder zehnte Erwachsene überschuldet, in Berlin ist es sogar jeder Achte.
Bünner: Hinzu kommt, dass Berlin bei den Lebenshaltungskosten fast den Standard von Hamburg erreicht, aber es kaum eine entsprechende Anpassung der Löhne und Gehälter gibt.
Was sind nach Ihren Erfahrungen die Hauptauslöser für Überschuldung? Und welche Entwicklungen sind auffällig?
Buhl: Die häufigsten Ursachen sind nach wie vor Arbeitslosigkeit, Krankheit, Trennung, Tod eines Angehörigen, Niedrigeinkommen und unwirtschaftliche Haushaltsführung; also wenn Menschen die
Übersicht über ihre Einnahmen, Ausgaben und Schulden verloren haben. Im Grundsatz gilt aber:
Überschuldung kann jeden treffen, da es gerade die unvorhersehbaren Schicksalsschläge und Lebensbrüche sind, die Menschen in eine Überschuldung stürzen können.
Bünner: Ganz oft gibt es wirklich einen Knackpunkt in der Biografie, an dem das Leben nicht so läuft, wie man es geplant hat. Dann bricht etwas zusammen, beispielsweise die Partnerschaft. Sie war sonst immer ein wichtiger Halt und nun führt die Trennung dazu, dass die Kontrolle über die eigenen Finanzen entgleitet.
Ist Verschuldung also einerseits weit verbreitet, andererseits aber auch ein Tabu-Thema?
Bünner: Ein überzogener Dispo – das empfinden viele nicht als Verschuldung; darüber kann man sicher noch sprechen. Sobald jemand aber in die Überschuldung kommt, fällt er ganz schnell aus dem Raster. Dann bricht das soziale Umfeld weg. Er kann nicht mehr bezahlen und geht deshalb nicht mehr mit ins Kino oder Theater. Das Thema ist immer noch mit sehr viel Scham besetzt.
Buhl: Schon Verschuldung ist ja für manche ein Tabu. Aber Überschuldung ist etwas mehr als Unangenehmes, wofür sich die allermeisten wirklich so sehr schämen, so dass sie sich total zurückziehen
und nicht einmal mit nahen Angehörigen oder engen Freunden darüber sprechen wollen. Sie halten
sich völlig verdeckt und versuchen das Ganze mit sich ganz allein auszumachen. Oft sind wir in der Beratung die ersten, mit denen überhaupt einmal offen über diese Sache gesprochen wird.
Welche Folgen hat es, wenn die Schulden immer weiter über den Kopf wachsen und Betroffene weder ein noch aus wissen?
Bünner: Viele fallen in ein tiefes Loch und es wächst das Gefühl, da nicht mehr herauszukommen,
obwohl man strampelt und strampelt. Irgendwann folgt eine Vogelstraußhaltung: Man geht auf
Tauchstation, zieht sich zurück und gibt sein soziales Umfeld auf, weil man nur noch daran denken
muss, nicht mehr mithalten zu können.
Buhl: Die Angst davor, dass die anderen etwas merken könnten, wird immer beherrschender. Es gibt Mütter, die haben Sorge, dass wenn sie Kindergeburtstag feiern, der Gerichtsvollzieher vor der Tür
steht.
Bünner: Zugleich sind die Betroffenen wie überrollt von einer Flut von Post. Die Briefe werden oft nicht mehr geöffnet – weil man ausgeht, dass es wieder Rechnungen und Forderungen sein werden, die man ohnehin nicht bezahlen kann. Somit wird auch nicht unterschieden: Was ist Inkasso und was ist anderes? Das verschlimmert natürlich die Lage, wenn zum Beispiel auf wichtige Behördenschreiben nicht mehr reagiert wird.
Wie schwierig ist es, einen Ausweg aus der Überschuldung zu finden?
Buhl: Entscheidend ist, dass man sich dazu entschließt, an der eigenen Lage, so aussichtlos sie auch
erscheinen mag, etwas zu ändern und Unterstützung zu suchen.
Bünner: Oft wartet man ab und hofft eigentlich viel zu lang, das Schuldenproblem noch irgendwie allein in wieder in den Griff zu bekommen. Wenn wir dann aber gemeinsam die Unterlagen unter die Lupe nehmen, wird zumeist recht schnell klar, dass die Schulden immer nur mehr geworden sind.
Buhl: Der Betroffene schaut natürlich, was er selbst noch irgendwie managen kann. Er fängt an Löcher zu stopfen und zu jonglieren. Bezahlt wird das, was ihm persönlich am dringlichsten erscheint, zum Beispiel die Handykosten. Dabei sind Miete, Gas und Strom am wichtigsten. Oft werden diejenigen Gläubiger, die
am meisten Druck machen, noch einigermaßen bedient – und bei den anderen sammelt sich aber ein Berg nicht nachgekommener Verbindlichkeiten an.
Welche Hilfe kann die Schuldnerberatung geben?
Buhl: Der erste Schritt in der Schuldnerberatung ist, sich einen Überblick zu verschaffen: Wie groß ist der Schuldenberg wirklich, welche Forderungen gibt es, welche Einnahmen und Ausgaben. Es wird geschaut, ob bereits alle Einkommensarten geltend gemacht wurden und ob eventuell noch Kapital oder anderes Vermögen vorhanden ist, das eingesetzt werden kann. Auch ein Haushaltsplan und die Budgetplanung sind als Instrumente sehr hilfreich, etwa um Einsparmöglichkeiten auszumachen.
Bünner: Häufig entdeckt man dann Verträge, Abonnements oder Zusatz-Versicherungen, die der Betroffene gar nicht mehr auf dem Schirm hatte und in seiner Lage eigentlich verzichtbar sind.
Buhl: Oft braucht es aber eine grundsätzliche Regulierungsstrategie, einen Vergleich mit Gläubigern,
eine private Verbraucher-Insolvenz. Zugleich müssen Betroffene lernen, mit den Schulden zu leben.
Bünner: Für 18-25-Jährige bietet die Jugendschuldnerberatung einen gesonderten Zugang. Da geht
es nicht nur um Handy-Schulden oder Schwarzfahren. Die Unterhaltung der ersten eigenen Wohnung
wächst schnell über den Kopf und mancher hat einfach nicht auf dem Schirm, was am Ende auf ihn
zukommt, wenn er hier einen Vertrag abschließt und dort noch einen. Gerade jungen Erwachsenen geht häufig ein Licht auf, wenn sich im Leben etwas ändert. Vielleicht werden sie das erste Mal Eltern
und denken sich dann, dass sie ihre Finanzen endlich mal auf die Reihe bringen müssen. Das ist oft der
Moment, an dem sie Klarheit wollen. Sie möchten durchstarten und das, was sie vielleicht noch aus der
Vergangenheit mit sich schleppen, endlich loswerden.
Worauf kommt es aus Ihrer Sicht an? Gibt es einen bestimmten Ansatz, den Sie in der Beratung verfolgen?
Buhl: Entscheidend ist, dass die Schulden nicht den Menschen beherrschen, sondern der Mensch die Schulden. Auch verstehen wir unsere Beratung so, dass wir nicht für die Klienten arbeiten, sondern
mit ihnen gemeinsam nach Lösungen suchen. Jeder muss nachvollziehen können, was passiert, und
so viel Eigenverantwortung wie möglich übernehmen. Wenn jemand, der überschuldet ist, lernt, die Dinge wieder in die eigenen Hände zu nehmen, dann kommt es nicht mehr so sehr darauf an, welche Wege am Ende eingeschlagen werden, ob ein Vergleich mit Gläubigern oder eine Verbraucherinsolvenz etwa. Das Wichtigste ist, einen guten Umgang mit den Schulden finden.
Bünner: Am Anfang bringen viele, die zu uns in die Beratung kommen, noch einen ganzen Stapel ungeöffneter Briefe mit. Die Post wird als sehr bedrohlich wahrgenommen, und die Angst davor blockiert.
Erst wenn man weiß, wie die Schreiben richtig einzuordnen sind und darüber entscheiden kann, wie mit ihnen zu verfahren ist, gewinnt man die Kontrolle zurück. Ein Schuldenberg löst sich dadurch zwar nicht von heute auf morgen in Luft auf. Aber die Last der Schulden ist dann eine andere. Schulden machen – das geht zumeist einfacher und schneller als sie wieder los zu werden.
Was ist wichtig, damit man gar nicht erst in eine Schuldenfalle hineingerät?
Buhl: Verträge gut und sehr genau lesen – auch das Kleingedruckte in Schriftgröße 5 – und versuchen zu
verstehen, welche Konsequenzen damit verbunden sein können. Das ist immer das A und O – und das
sollte auch immer in der Präventionsarbeit betont werden, insbesondere, wenn es um die Finanzkompetenz von Jugendlichen geht.
Bünner: Sich über die eigenen Einnahmen und Ausgaben bewusst sein; den Haushalt wirklich einmal
durchrechnen und ehrlich zu sich selbst sein, wenn es um die eigenen Budgets geht, die man zur Verfügung hat. Denn wer auf Dauer mehr ausgibt, als er einnimmt, ist leicht mit einem Bein in der Schuldenfalle. Und eines sollte allen klar sein: Schulden abzustottern, das ist anstrengender als eine Diät. Die Pfunde bekommt man ganz leicht drauf. Aber um sie wieder runter zu bekommen, braucht es jede Menge eisernen Willen und zumeist einen sehr langen Atem.
Die Fragen stellte: Christian Soyke