Kleine Gesten – große Wirkung

Daniel Scherbarth, Leiter der Station St. Clara, im Patientengespräch. Foto: Sylvia Thomas-Mundt

Die Belastungen durch Corona treffen auch Krankenhäuser. Die Führung der St. Hedwig-Klinik hat ihren Mitarbeitern schon frühzeitig eine Jobgarantie gegeben und auch für die Patienten nach guten Lösungen gesucht.

„Selbst in Coronazeiten bleibt der liebe Gott nicht außen vor“, sagt der Geschäftsführer der Alexianer St. Hedwig Kliniken Berlin, Alexander Grafe. Er erzählt vom Osterbrief, den er allen Mitarbeitern geschrieben hat, verbunden mit „Nervennahrung“ in Form von Schoko-Trüffeln und einem Mehrweg-Mund-Nasen-Schutz. „Lassen wir uns durch Corona nicht davon ablenken, dass wir zu anderem berufen sind, als zu Ängsten und Sorgen!“

Alexander Grafe charakterisiert sich als „überzeugten West-Katholiken“. Er will das christliche Menschenbild im Krankenhausalltag umsetzen. Der stellvertretende Pflegedirektor im St. Hedwig-Krankenhaus, Martin Trnka, ein „aufrechter Ost-Katholik“, sieht das genauso. Durch die Krise werde deutlich, was wesentlich und was verzichtbar sei.

Bereits im Februar wurde ein Krisenstab gebildet und zwar „interdisziplinär und hierarchieübergreifend“. Dessen Protokolle wurden hausintern veröffentlicht; jeder konnte sich informieren und auch nachhaken. „Diese Transparenz hat das Zusammenstehen in der Krise gefördert und geholfen, Ängste abzubauen, Ängste vor Ansteckung, aber auch Existenzängste“, betont Trnka. In einer Hausmitteilung der Geschäftsführung vom März hieß es, man lasse sich „allein von medizinischen Kriterien“ leiten. Ökonomische Aspekte seien nicht entscheidungsrelevant; man verfüge über ausreichende Liquidität, die Krisenzeit zu überstehen. Es bestünde also kein Grund zur Sorge, „sowohl ihre Arbeitsplätze als auch ihre monatlichen Einkommen sind sicher“. Alexander Grafe verweist auf den Zusammenhang von Verantwortung und Vertrauen: Vertrauen auf ein gutes Krisenmanagement der Verantwortungsträger, auf die eigenen Fähigkeiten, „aber auch Vertrauen darauf, dass wir getragen, geführt und letztlich behütet sind.“ Der Geschäftsführer nennt es Gottvertrauen. 

Mehr Katholiken als in der Gesamtbevölkerung 

Das Besondere des katholischen Krankenhauses erschöpfe sich nicht in den Kruzifixen in den Zimmern, die auch dann nicht abgenommen werden, wenn Patienten dies wünschen. Zum Selbstverständnis gehöre zum Beispiel auch, in Bewerbungsgesprächen die Gretchenfrage zu stellen: „Wie hast du’s mit der Religion?“ Fast die Hälfte der Mitarbeiter sind Christen, ein Viertel von ihnen ist katholisch. Demnach ist der Anteil der Katholiken im St. Hedwig-Krankenhaus höher als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung des Erzbistums Berlin, der bei 6,6 Prozent liegt.

Am 14. September 1846 begannen vier Ordensfrauen aus dem Orden der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Karl Borromäus mit der Einrichtung des Krankenhauses. Seit 1998 ist das St. Hedwig-Krankenhaus Teil des Unternehmensverbundes der Alexianer. Die Alexianerbrüder, eine in der Krankenpflege aktive Ordensgemeinschaft, fühlen sich der Spiritualität der Gründerinnen verpflichtet.

Das gilt auch unter Pandemie- Bedingungen. „Es ist uns zum Beispiel gelungen, dass psychiatrische Patienten mit Corona- Verdacht auf einer ‚Corona- Station‘ innerhalb der Psychiatrischen Klinik bleiben können, also weiter vom ihnen vertrauten Personal betreut werden“, erläutert der stellvertretende Pflegedirektor. „Psychisch Kranke sind eh schon von Ängsten geplagt; wir wollen ihnen nicht noch mehr zumuten.“ Martin Trnka erzählt von „zwischenmenschlichen Lösungen“ während des Lockdowns, von kleinen Gesten mit großer Wirkung: „Eine schwerkranke Dame war ganz traurig, weil sie wegen des Besuchsverbots ihre Enkelin nicht sehen konnte. Ein Mitarbeiter der Station gab der Enkelin seine E-Mail-Adresse, las deren Briefe der Patientin dann vor und so erfuhr die alte Dame von der Geburt ihres ersten Urenkels und konnte sich mitfreuen.“

Trotz immenser Arbeitsbelastung müsse versucht werden, dem Menschen in seiner Krankheit gerecht zu werden, „ihm auch dann liebevoll zu begegnen, wenn er sich zum x-ten Mal die Schläuche rauszieht oder in seiner Verzweiflung einen Pfleger bedroht“. Fünf Krankenhausseelsorgerinnen und ein Priester kümmern sich um Kranke und Sterbende sowie deren Angehörige. Was aber nicht bedeute, Leib- und Seelsorge zu trennen, betont Trnka. Er ist überzeugt, dass auf jeder Station Mitarbeiter sind, die achtsam sind und sensibel reagieren, wenn ein Patient in bodenlosen Kummer hineinfällt oder Angehörige in Panik geraten. „Natürlich ist nicht jeder hier ein Heiliger, doch ich reklamiere für uns, dass der Anteil an hochherzigen, leidenschaftlichen Leuten, die ihre Kraft aus Liebe zum Menschen, viele auch aus Liebe zu Gott, einsetzen, überaus hoch ist“, ergänzt Alexander Grafe. 

Belastung führt zu Fachkräftemangel 

Nun existiert aber auch ein katholisches Krankenhaus nicht außerhalb des Systems. Leistungsverdichtung, Zeitdruck, Personalmangel – mit Balkonapplaus ist es nicht getan. „Exorbitant“ nennt der stellvertretende Pflegedirektor die Belastung der Pflegenden, seit in den 1990er Jahren die Gesundheit zum ökonomischen Faktor wurde. Die Pandemie bringe ans Licht, was seit Jahrzehnten schief läuft: „Es ist unerträglich, wenn eine Krankenschwester sagt, es gibt keinen Dienst, in dem sie sich so um ihre Patienten kümmern kann, wie sie es möchte und sie deshalb ein schlechtes Gewissen hat“, klagt Martin Trnka, der 1984 die Ausbildung zum Krankenpfleger im St. Hedwig- Krankenhaus begonnen hat.

Eine Ursache für den Fachkräftemangel sieht er unter anderem im Schichtdienst, der finanziell nicht zu kompensieren sei, weil „mehr Geld nicht automatisch zu größerer Zufriedenheit führt“. Noch schwerer wiege: Wer einen Pflegeberuf ergreift, will für die ihm anvertrauten Menschen da sein und nicht stundenlang Dokumentationen für die Krankenkassen schreiben. Durch die Bürokratisierung werde das „Herzstück der Pflegearbeit marginalisiert“, was auch den Mangel an Nachwuchs auf dem Pflegesektor erkläre. Wenn die Krankenschwester nur noch über die Station hetze, der Arzt kaum Zeit für ein ausführliches Patientengespräch habe, nage das am Vertrauen des Patienten. Und es kratze an der Identität des Hauses.

Früher hießen Krankenhäuser oft „Hospital zum Heiligen Geist“. Heiliger Geist sollte ihre Atmosphäre kennzeichnen: „Heile, was verwundet ist. Wärme, was erkaltet ist. Tröste den, der trostlos weint“, heißt es in der Pfingstsequenz. Dass dieser gute Geist trotz aller Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten in den Mauern des Krankenhauses steckt, davon ist Alexander Grafe überzeugt: „Solange ein Geist des erkennbar Andersseins durch die Flure weht, kann St. Hedwig auch heute ein Ort der Evangelisation sein und Zeugnis geben für die Liebe Gottes. Dafür muss man das ‚Veni Creator Spiritus‘ nicht aufsagen können. Denn Nächstenliebe kann auch, wer nicht mit Gott rechnet.“