Tätern die Spielräume nehmen

Burkhard Rooß, Präventionsbeauftragter des Erzbistums: „Man kann niemandem in den Kopf schauen.“ | Foto: Alfred Herrmann

Unter dem Motto „Wissen hilft schützen“ schulen Burkhard Rooß und sein Team Mitarbeiter aus der Kinder- und Jugendarbeit. Ein Besuch bei einer Basis- Schulung zur Prävention von sexualisierter Gewalt.

Zwei Bilder leuchten auf der Leinwand. Das Linke zeigt den Kopf eines lächelnden Kindes, der sicher in zwei großen Händen ruht. „Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände“ (Jes 49), steht darunter. Auf dem rechten Bild wirbelt ein Ministrant mit Hilfe eines Kerzenleuchters schwungvoll über eine Backsteinmauer. „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“, wird Psalm 18 zitiert.

„Schutz durch uns und Ermutigung von uns“ – mit den Gemälden von Sieger Köder versinnbildlicht Burkhard Rooß zu Beginn der Basis-Schulung „Prävention von sexualisierter Gewalt“ die beiden zentralen Wege, um sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen vorzubeugen. „Kinder müssen sich bei uns geborgen fühlen und zugleich erfahren, dass ihnen etwas zugetraut wird“, betont der Präventionsbeauftragte des Erzbistums Berlin.

20 Frauen und Männer zwischen 16 und 60 Jahren haben sich im Gemeindesaal von St. Laurentius in Berlin-Tiergarten eingefunden. Die einen wollen demnächst eine mehrtägige Jugendfahrt oder eine Religiöse Kinderwoche begleiten, die anderen leiten einen Kinderchor oder engagieren sich in der Jugendarbeit ihrer Pfarrei. Sie alle benötigen für ihr ehrenamtliches Engagement die sechsstündige Basis-Schulung.

Kein Einzelphänomen, sondern Kindheitsrisiko

Nach dem Missbrauchsskandal setzt die Kirche neben Institutionellen Schutzkonzepten für alle Einrichtungen besonders auch auf verpflichtende Schulungen für Haupt- und Ehrenamtliche, um die Handlungsspielräume von Tätern zu schließen. Mehr als 300 Seminare haben Rooß und sein Team in den vergangenen fünf Jahren bereits gehalten, weit mehr als 6000 Frauen und Männer geschult und sensibilisiert.

„Bei Missbrauch handelt sich um kein Einzelphänomen, sondern um ein reales Kindheitsrisiko“, betont Rooß. Die Zahlen, die er präsentiert, sind erschreckend: Jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder achte bis zwölfte Junge ist von sexuellem Missbrauch betroffen. Die Täter, zu fast 90 Prozent Männer, finden sich quer durch alle Gesellschaftsschichten und sexuellen Orientierungen. Drei Viertel stammen aus der Kernfamilie oder dem sozialen Nahfeld der Kinder.

„Man kann niemanden in den Kopf schauen“, betont Rooß immer wieder. Niemandem lässt es sich ansehen, ob er Täter ist. Täter dagegen suchen sich das Umfeld für ihre geplante Tat ganz genau aus. Ignoranz und bewusstes Wegschauen ermöglichen ihnen daher oft erst die Tat. Genau hinzuschauen und angemessen zu reagieren, das möchte die Basis-Schulung vermitteln. Denn nur achtsame Haupt- und Ehrenamtliche schützen Kinder und Jugendliche wirkungsvoll vor sexualisierter Gewalt. „Sexueller Missbrauch findet nicht von jetzt auf gleich statt, ihm gehen zahllose und immer weitergehende Grenzüberschreitungen voraus“, erklärt Rooß.

Mit einem Trickfilm zeigt der Präventionsbeauftragte, mit welchen typischen Strategien Täter vorgehen. Deutlich wird: Täter missbrauchen das Vertrauen der Opfer, nutzen eins zu eins Situationen, machen sich mit großzügigen Geschenken Opfer gefügig, freunden sich mit den Eltern der Opfer an, setzen Geheimnisse als Druckmittel ein. Um Tätern diese Spielräume zu nehmen, gelte es, eine Risikoanalyse vorzunehmen und kritische Situationen und Orte zu identifizieren. Dann brauche es einen klaren Verhaltenskodex, in dem festgelegt werde, wie sich Verantwortliche in einer sensiblen Situation zu verhalten hätten. Dieser Kodex müsse für alle transparent sein: für Leiter, Kinder und Eltern. „Vor einer Freizeit ist festzuhalten: Wie gehen wir mit Duschsituationen um, wie mit einer Zeckenbissprüfung, wie mit der Übernachtungssituation?“

Ein Kind ist niemals schuld am Missbrauch

Schließlich spricht Rooß von pädagogischer Prävention. Es gelte, Kinder darin zu stärken, ihre Bedürfnisse zu äußern, Grenzen zu setzen, sich zu beschweren, wenn Grenzen überschritten werden. Ein Kind soll wissen, dass es am Missbrauch niemals eine Schuld und stets ein Recht auf Hilfe hat, dass ihm keiner Angst machen und es schlechte Geheimnisse weitererzählen darf. „Dazu braucht es ein funktionierendes Beschwerdesystem“, betont Rooß.

In der Abschlussrunde des inhaltsreichen Tags wird deutlich: Ab jetzt liegt es an jedem selbst, wie das neugewonnene Wissen und die geschärfte Sensibilität umgesetzt wird. Ein echter Auftrag!