Die Themen Missbrauch in der Kirche und Kirchenaustritte standen auf der Tagesordnung der Frühjahrsvollversammlung des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin in Greifswald.
Eigentlich als eines von vielen Themen vorgesehen, wurde der sexuelle Missbrauch in der Kirche auch durch die Bekanntgabe des Bistums zum Hauptgesprächsthema der Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin. Das diözesane Laiengremium hatte am vergangenen Samstag den Betroffenenbeirat Ost ins Pommersche Landesmuseum in Greifswald eingeladen.
Beirat sieht sich zu wenig eingebunden
Sprecherin Sabine Otto war erschienen, um über die Arbeit des Beirats zu berichten. Dabei brachte sie auch zur Sprache, was aus Sicht des Gremiums schiefläuft. So beklagte sie die fehlende Einbindung in die Missbrauchsaufarbeitung. „Bis heute erfahren wir vieles nur aus der Presse – dann, wenn die Würfel bereits gefallen sind. Wir können dann nur im Nachgang Stellung beziehen“, sagte Otto. Das aber verhalle oft wirkungslos.
Dabei solle der Betroffenenbeirat als Expertengremium die Aufarbeitung eigentlich „kritisch- konstruktiv“ begleiten. „Die Betroffenen wollen einbezogen werden. Dafür erforderliche Informationen werden uns jedoch vorenthalten. Bei uns entsteht der Eindruck, dass wir als Störer wahrgenommen werden“, sagte die Sprecherin.
In Richtung des Erzbistums Berlin beklagte sie mangelnde Sensibilität im Umgang mit Betroffenen. „In der Regel werden Erkenntnisse – unabhängig vom Einverständnis der Betroffenen – an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben. Das führt regelmäßig dazu, dass die Betroffenen von der Polizei als Zeugen vernommen werden und dabei die Geschehnisse detailliert beschreiben müssen.“
Bei Betroffenen könne diese erneute Konfrontation mit dem Erlebten retraumatisierend wirken. Sie seien daher auf therapeutische und juristische Begleitung angewiesen, wenn die Bistümer die Fälle an die Staatsanwaltschaft weitergeben. „Wir fordern, dass die Bistümer diese Betreuung sicherstellen – so wie es in anderen deutschen Diözesen bereits gängige Praxis ist. Alles andere halten wir für unverantwortlich.“
Stefan Förner, Pressesprecher des Erzbistums Berlin, erklärte auf Tag des Herrn-Nachfrage dazu: „Den Vorwurf, unverantwortlich gegenüber den Betroffenen gehandelt zu haben, weisen wir zurück.“
Auch der jüngste Aufruf des Erzbistums an Betroffene des organisierten Missbrauchs in Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf, sagte Sabine Otto am Samstag nach der Vollversammlung im Gespräch mit dem Tag des Herrn, habe ihre Mitstreiter und sie irritiert. Schon mehr als eine Woche vor der Veröffentlichung habe der Beirat versucht, Kontakt mit der unabhängigen Ansprechperson im Erzbistum aufzunehmen – mit dem Ziel, Betroffenen eine Meldung zu ermöglichen. Grundsätzlich empfiehlt der Beirat Betroffenen, vor der Meldung ans Erzbistum Kontakt zu einer unabhängigen Fachberatungsstelle aufzunehmen.
„Bis zur Veröffentlichung des Aufrufs hat sich niemand zurückgemeldet. Stattdessen ruft das Erzbischöfliche Ordinariat dann öffentlich Betroffene auf, sich zu melden. Wie passt das zusammen?“, fragte Sabine Otto.
Auch dazu äußerte sich das Erzbistum gegenüber unserer Kirchenzeitung. „Mit der Veröffentlichung des Aufrufs am vergangenen Freitag sind die Ansprechpersonen zuverlässig erreichbar.“ Und weiter: „Eine Einbindung des Betroffenenbeirats und der Aufarbeitungskommission, sobald sie sich konstituiert hat, ist ausdrücklich angestrebt und gewünscht.“
Beiratssprecherin Sabine Otto begrüßt die Absichtserklärung zur Zusammenarbeit. „Wenn das Erzbistum den Beirat, der sich bereits vor einem Jahr konstituiert hat, in die Aufarbeitung dieser und weiterer Fälle zukünftig einbinden will, wäre das wünschenswert“, sagte sie.
Während die Zusammenarbeit mit den Bistumsleitungen stellenweise noch nicht funktioniere wie gewünscht, sagte Sabine Otto beim Vortrag vor dem Diözesanrat, laufe die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren gut. „Wir stehen in intensivem Austausch mit Diözesan- und Katholikenräten und Betroffenenbeiräten in anderen Bistümern. Pfarreien stehen wir auf Wunsch für Veranstaltungen zur Verfügung“, sagte Beiratssprecherin Otto.
Es gebe viel zu tun. „Wir wünschen uns im Beirat deshalb Betroffene, die ihre Erfahrungen und ihr Wissen einbringen möchten. Interessierte können sich direkt bei uns melden.“ Zuvor ein formales Auswahlverfahren zu durchlaufen, sei nicht mehr notwendig.
Professorin spricht über Kirchenaustritte
„Niemand wacht morgens auf und entschließt sich spontan, aus der Kirche auszutreten“, sagte Annette Schnabel. Die per Webcam zugeschaltete Professorin für Soziologie an der Universität Düsseldorf forscht derzeit im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zur Rolle von Religion in der modernen Gesellschaft. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören auch die Kirchenaustritte, ein weiteres Tagesthema der Diözesanrats- Vollversammlung.
„Eine persönliche Enttäuschung, etwa über die Missbrauchsfälle in der Kirche, kann der Anlass für einen Austritt sein“, sagte Schnabel. Vorausgegangen sei dem jedoch meist eine lange Entfremdung, einhergehend mit religiöser Gleichgültigkeit.
Eine Ursache für die sinkende Bedeutung des Glaubens im Leben junger Menschen sieht die Düsseldorfer Professorin auch in der Veränderung von Glaubensvermittlung in vielen Familien. „Die Generation der heutigen Großmütter und Großväter legte bei der Erziehung stärker Wert auf die Weitergabe des Glaubens“, so Schnabel. Allerdings hätten viele Jugendliche auch Schwierigkeiten damit, ihr Leben nach den Vorgaben der Kirche auszurichten. Als Beispiel nannte sie die katholische Sexualmoral.
An der Universität habe die Professorin die Erfahrung gemacht, dass vor allem jene Studenten „skeptisch gegenüber institutionalisierter Religion eingestellt sind, die von Religion wenig bis gar keine Ahnung haben“. Je mehr sie sich mit ihr beschäftigten, desto besser werde in vielen Fällen ihr Bild von der Kirche. Dass mit dem möglichen Regierungsantritt der Großen Koalition in Berlin der Religionsunterricht demnächst wieder festes Schulfach werden könnte, bewertet Schnabel positiv. „Aber unbedingt konfessionsübergreifend, ökumenisch. Evangelische und katholische Kirche sollten auch hier zusammenarbeiten.“
Abmeier: „Sind gut vorangekommen“
Nach Annette Schnabels Vortrag erarbeiteten die Mitglieder des Diözesanrats Vorschläge, was angesichts der vielen Austritte auf verschiedenen Ebenen getan werden könnte. Auf Diözesanebene brauche es demnach mehr Formen der Mitbestimmung sowie Transparenz bei Entscheidungen und Finanzen. Die Jugendarbeit müsse massiv ausgebaut werden.
In den Pfarreien und Gemeinden müssten Personen präsenter und ansprechbarer sein, die Seelsorge wieder mehr in den Fokus gerückt werden. Pfarrer und pastorales Personal seien hierfür auf mehr Räume angewiesen. Zu viel Bürokratie sei bei deren Bereitstellung oft hinderlich.
In der Öffentlichkeitsarbeit solle der Kontakt zu Mitgliedern gestärkt werden, gerade auch zu jenen, die nicht am Gemeindeleben teilnehmen. Hierfür – ebenso wie zur Vernetzung mit nicht-kirchlichen Akteuren – könne noch mehr Präsenz in den Social Media dienlich sein. Im Rückblick auf das Wirken des Diözesanrats in den vergangenen drei Jahren zog die Vorsitzende Dr. Karlies Abmeier ein positives Fazit. „Trotz der vielen Herausforderungen bin ich dankbar für das vielfältige Engagement der Vollversammlung in dieser Amtszeit. Bei Themen wie dem Synodalrat, dem Klimaschutz oder der Gleichstellung von Frauen sind wir ein gutes Stück vorangekommen“, sagte Abmeier. „Es ist auch in Zukunft wichtig, dass wir eng mit den Pfarreien, Gemeinden und Verbänden zusammenarbeiten und die Anliegen der Katholikinnen und Katholiken mit Nachdruck vertreten.“