Es klingelt an der Wohnungstür. Och nö, denke ich, nicht schon wieder ein Haustürgeschäft. Die Telekom war schon da, und eine religiöse Gemeinschaft bot Sinnstiftung an. Durch den Türspion sehe ich einen jungen Mann in Malteseruniform. Ein Malteser, okay, den lass ich rein. Meine Tochter hat das FSJ bei den Maltesern absolviert. Inzwischen ist ihre Tochter Mitglied in der Malteserjugend und stolz auf ihren Ausweis als Schulsanitäterin, ein Dienst, der ihr „voll Spaß“ macht. Als ich mal einen Verband wechseln musste, jedoch nicht einmal mit artistischen Verrenkungen an die OP-Wunde rankam, „verarztete“ sie mich kundig und gern.
Der junge Mann stellt sich und die Malteser vor. Nicht aufdringlich, sondern argumentativ und ohne gleich mit einer Spendenquittung zu winken. Ich spüre, dass er vom konkreten „Produkt“, für das er wirbt, überzeugt ist. Es ist der Herzenswunsch-Krankenwagen der Malteser. Wenn Menschen wissen, dass sie nicht mehr lange leben werden, bekommen Träume und Wünsche eine neue Dimension. Die Erfüllung einer solchen Herzensangelegenheit bedeutet, noch einmal für ein paar Stunden aus dem Krankenhaus oder dem Hospiz herauszukommen; etwas persönlich Wichtiges zu erleben oder zu Ende führen können. Der Krankenwagen bringt sie an den Ort ihrer Sehnsucht. Besonders ausgebildete Helferinnen und Helfer begleiten die Fahrt.
Letzte Wünsche seien sehr individuell, der Malteser nennt einige: „Noch einmal an die Ostsee reisen, bei einer Familienfeier dabei sein, mit dem Partner ein Konzert besuchen, einmal noch den geliebten Garten sehen.“ Ein guter Freund von mir ist vor einigen Wochen gestorben. Was mag er sich wohl gewünscht haben. Ich hätte ihm so einen Wünsche-Wagen-Ausflug von Herzen gegönnt.
Malteser-Vielfalt in Karlshorst
Die Malteser sind dabei, die Karlshorster mit ihren Angeboten bekannt zu machen, dafür laufen sie treppauf, treppab. Suchen den persönlichen Kontakt, „weil Nähe zählt“. Seit 2014 hat der Malteser Hilfsdienst e.V. in Karlshorst im Bezirk Lichtenberg eine Niederlassung. Sozialpädagogen und medizinisches Fachpersonal beraten, betreuen dementiell Erkrankte, vermitteln den Hausnotruf, informieren über Sterben und Tod, Patientenverfügung und Betreuungsvollmacht. Im ambulanten Hospiz- und Palliativberatungsdienst werden Sterbende und deren Angehörigen begleitet. Auch auf Russisch, denn durch die Stationierung der Berlin-Brigade sowie des Oberkommandos der sowjetischen Streitkräfte zur DDR-Zeit ist der Anteil russisch sprechender Bürger auch nach dem Truppenabzug relativ hoch.
Die Malteser sind angekommen in Karlshorst. Zum Beispiel durch deren Hilfsangebote während der ersten Corona-Welle. Da klebten Zettel mit ihrer Telefonnummer an den Supermarkttüren für Karlshorster, die Einkaufshilfe oder eine Begleitung zum Arzt brauchten.
Stark vernetzt im Kiez
Von Anfang an unterstützte die Pfarrgemeinde Zum Guten Hirten Friedrichsfelde/Karlshorst die Malteser. Inzwischen sind sie im Pastoralen Raum Wuhle-Spree, der ab 1. Januar 2022 Pfarrei Hl. Hildegard von Bingen heißen wird, gut vernetzt. Es gibt Kontakte zur Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin oder zum IN VIA-Mädchen- und Frauentreff. Frauen aus der Pfarrgemeinde engagieren sich als ehrenamtliche Begleiterinnen im Hospizdienst und für Trauernde. Im ökumenischen Nachbarschaftstreff suchen Vertreter von Kirchengemeinden, von Orten kirchlichen Lebens wie die Malteser und anderer sozialer Einrichtungen „der Stadt Bestes“.
Besonders für die Hospizarbeit sei es wichtig, bekannt zu sein, erklärt der Malteser. Sie wollen ein Umdenken bewirken: Sterben gehört in die Familie, in die Kirchengemeinde, in die Gesellschaft. Es darf weder „ausgelagert“ noch „totgeschwiegen“ werden. Damit der Tod seinen schlechten Ruf verliert, ist ein fundiertes Wissen wichtig, zum Beispiel über den Sterbeprozess. Was man tun kann für Menschen am Ende des Lebens, das kann erlernt werden. Beispielsweise in einem „Letzte-Hilfe-Kurs“, den die Malteser anbieten. „Wir bieten aber auch Erste-Hilfe-Kurse an“, sagt der junge Mann und lacht.
Und ja, natürlich gehe es auch ums Geld, zum Beispiel beim „Wünsche-Wagen“: „Die Fahrt kostet dem Patienten und dessen Familie nämlich nichts“, erklärt er. Der Einsatz dieses speziell ausgerüsteten Krankenwagens wird aus Spenden finanziert.
Damals war's ...
Im Laufe des Gesprächs fragt er mich, wieso ich gut informiert sei über die Malteser. Ich erzähle von der ersten Gliederung der Malteser in Ostdeutschland. Sie wurde Ende der 1990er Jahre in Jüterbog vom damaligen Pfarrer der St.-Hedwigs-Gemeinde sowie „aus dem Westen“ zugezogenen Maltesern gegründet. Über viele Jahre war der Malteser-Hilfsdienst in der Stadt Jüterbog sowie der Fläming-Region aktiv: Erste-Hilfe- und Schulsanitäter-Ausbildung, Aufbau einer Malteserjugend, Möbelbörse, Kleiderkammer für Bedürftige… Die freiwilligen Helferinnen und Helfer engagierten sich im Katastrophenschutz des Landes Brandenburg bei Hochwasser oder Waldbränden auf ehemaligen Truppenübungsplätzen mit einem – selbstverständlich gesegneten - Katastrophenschutz-Wagen. Zusammen mit der Pfarrgemeinde und der Unterstützung vieler Jüterboger organisierten sie jährliche Hilfstransporte nach Kroatien und Bosnien, bauten dort ein Kinderkrankenhaus und eine Jugendbegegnungsstätte auf.
Ob Fronleichnamsprozession oder Martinsumzug, Stadtfest oder Adventsmarkt – die Malteser nahmen am Leben der Pfarrgemeinde wie am Leben der Stadt teil. Als die Gründungsmütter und - väter wieder wegzogen aus der Stadt, wurde die Geschäftsstelle geschlossen. Was nicht nur die Pfarrgemeinde sondern auch Jüterbogs Bürgermeister sehr bedauerte. Der Malteser findet mein Erzählen aus der Rubrik „damals war’s“ interessant, sagt er. „Jetzt ist mir auch klar, wieso wir in Jüterbog viele angetroffen haben, die uns kennen und unterstützen.“
Was das Gespräch „mit mir gemacht“ hat? Ich gab meinem Herzen einen Stoß, erklärte mich bereit, die Dienste und Projekte der Malteser mit einem regelmäßigen Spendenbeitrag zu unterstützen. Meiner Enkelin, der Schulsanitäterin, schickte ich das Foto meiner Malteser-Mitgliedskarte. Ihr Kommentar: „Sehr gut, Oma. Bin stolz auf dich.“