(1 Petr 3,14-17; Mt 10,17-22)
Liebe Schwestern und Brüder,
“Fürchtet euch nicht… Lasst euch nicht erschrecken… Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert!” - Was der Verfasser des ersten Petrusbriefs von der Gemeinde in der Diaspora erwartete, ist eine starke Forderung; vielleicht sogar Überforderung. - Wir wissen, wie schwierig es ist,
- sich Diskussionen zu stellen,
- Auseinandersetzungen anzunehmen,
- notfalls sogar zu streiten. - Doch genau diesem Auftrag ist der Selige Bernhard Lichtenberg nachgekommen.
Als Papst Johannes Paul II Bernhard Lichtenberg heute vor 25 Jahren gemeinsam mit Karl Leisner selig sprach, wandte er sich in seiner Predigt an die beiden Seligen und sagte: „Wir grüßen Euch, unerschrockene Diener Christi, des Königs mit der Dornenkrone.“ - Unerschrocken schweigen und sprechen konnten diese Diener nur, weil sie vertrauten, dass der Geist Gottes durch sie spricht, wenn ihnen nichts mehr einfällt.
Die Seligen und Heiligen folgen dem König mit der Dornenkrone nach, nicht einem Herrscher mit goldener Krone auf dem Haupt. Wer Christus nachfolgt, der muss in seinen Lebensentwurf einplanen, dass er nicht in einem Palast endet, sondern in einer Gefängniszelle oder am Ende stirbt auf dem Weg zur Hinrichtung. Der Ort des Menschen, der Christus mit der Dornenkrone nachfolgt, ist nicht der Thron des Königs, sondern der Thron am Kreuz. Im Altarbild sehen wir in dieser Kirche vor uns, dass der Christus, an den wir glauben, nicht andere hingerichtet hat, sondern es zugelassen hat, wie ein Lamm geschlachtet zu werden.
„Mein Führer ist Christus“, bekannte der Selige Bernhard Lichtenberg. Er hat sich führen und leiten lassen von diesem Christus, dessen Krone aus Dornen, dessen Thron das Kreuz und dessen Zepter ein zerbrechliches Rohr war.
In seiner Predigt zitierte Papst Johannes Paul II auch den Priester und „Großstadtapostel“ Carl Sonnenschein, der 1927 gesagt hat: „Vor den heidnischen Menschen der Großstadt ist Apologetik des Wortes fruchtlos… Nur eines reicht an diese Menschen heran, die das Christentum auch nicht mehr aus den Erzählungen ihrer Väter kennen, auch nicht mehr vom Rosenkranz ihrer Mutter, auch nicht aus dem Religionsunterricht der eigenen Schulzeit… Die am eigenen Leibe, an eigener Seele, an eigener Not erlebte Güte dieser Religion in ihren Vertretern.“ - Carl Sonnenschein dachte dabei sicher auch an die Bischöfe und Priester, die in besonderer Weise die Kirche in der Öffentlichkeit vertreten. Sie müssen durch ihr Leben auch in besonderer Weise darstellen, welchem Christus sie nachfolgen. Vertreten wird die Kirche aber nicht nur durch Priester und Bischöfe, sondern auch durch alle Menschen, die getauft und gefirmt sind. Gemeinsam müssen sie durch Güte zeigen, dass sie nicht hinrichten, sondern durch ihr Leben beruflich und privat Christus nachfolgen und sich letztendlich nur ihm verpflichtet fühlen. Seine Güte zu den Menschen und seine Bereitschaft,
- die Zeit und Aufmerksamkeit,
- die eigenen Gaben und Möglichkeiten,
- das eigene Wissen und Gewissen und so sein Leben einzusetzen, um die Menschen die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes erfahren zu lassen, ist unser Auftrag.
Wie geht dies? Wie konnten das Menschen wie der Selige Bernhard Lichtenberg? - „Mein Führer ist Christus.“ Von ihm ließen sich Menschen wie er leiten. Sie stellten sich immer wieder die Frage: Was würde dieser Jesus Christus an meiner Stelle jetzt tun? - Dieser Jesus Christus war gegenwärtig. Er war da für die Kranken und in jeder Form Bedürftigen, hat seine Liebe der Ehebrecherin und dem gehassten kleinen Zöllner auf dem Baum geschenkt. Er hat seinen Untergebenen die Füße gewaschen und sich nicht gewaltsam verteidigt oder verteidigen lassen, als es ihm an das Leben ging. Diese Freiheit Jesu, am Sabbat zu heilen und damit um seiner Berufung zur unbedingten Liebe gegen ein Gebot zu verstoßen, war wie sein Gottvertrauen die Quelle des Handelns.
Innere Freiheit und Gottvertrauen gehören zusammen:
- Wie viel innere Freiheit gehört dazu, gegenüber Menschen, die versagt haben, gütig zu sein?
- Wie viel Freiheit brauchen wir, den Menschen nicht im Regen stehen zu lassen, der offenkundig Unrecht hat oder Unrechtes tut?
- Wie viel Freiheit brauchen wir, über uns selbst hinaus zu denken, nicht die eigenen Verwandten und Freunde zu bevorzugen, auch Menschen anderer religiöser und politischer Überzeugungen zu achten und uns für sie als Menschen einzusetzen, auch wenn wir deren Haltungen und Verhalten nicht teilen?
- Wie viel Freiheit brauchen wir, uns mit aller Kraft einzusetzen, wenn andere sich zurückziehen oder ein eher bequemes Leben machen?
- Wie viel Freiheit brauchen wir, die Wirklichkeit umfänglich zu sehen und anzunehmen - die eigene und die unserer Kirche, die unseres Landes und unserer Welt? - Nicht die äußere Reisefreiheit schafft die innere Weite des Herzens und des Verstandes, um die Menschen die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes unbedingt spüren zu lassen.
Die äußere Freiheit des Seligen Bernhard Lichtenberg wurde im Gefängnis sehr eingeschränkt. Reisefreiheit gab es nicht. Aber seine letzte Reise führte ihn ans Ziel: Nicht nach Dachau - wie von Menschen vorgesehen -, sondern in den Himmel:
Reiseführer dieser letzten Reise möge für uns - wie für den Seligen Bernhard Lichtenberg - Christus sein, der Mensch mit der Dornenkrone.
Amen.