Am 25. Mai 2014 finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt, bei der die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union (EU) die Möglichkeit haben, maßgeblich über die europäische Politik der kommenden Jahre mitzuentscheiden. Das neue Europaparlament wird vor schwierigen Herausforderungen stehen, denn in den vergangenen fünf Jahren seit der letzten Europawahl ist die Europäische Union durch eine tiefe Krise gegangen. Die europäische Staatsschulden- und Finanzkrise hat die Europäer vor große Herausforderungen und ihre Solidarität auf eine harte Probe gestellt. Sogar der Zusammenhalt der Eurozone und damit auch die Gemeinschaft der Europäischen Union wurde hinterfragt. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen aus den Fehlentwicklungen, die zu der Staatsschulden- und Finanzkrise geführt haben, die richtigen Lehren ziehen. Für den weiteren Aufbau des geeinten Europas müssen Solidarität und Eigenverantwortung die tragenden Prinzipien sein.
Weiterhin gibt es in den europäischen Krisenstaaten enorme soziale Verwerfungen. Insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit sollte deshalb im Mittelpunkt der Sorge derjenigen stehen, die in Europa Verantwortung tragen. Denn die Perspektivlosigkeit beinahe einer ganzen Generation in verschiedenen europäischen Ländern ist eine Herausforderung, die alle Europäer betrifft. Nur wenn sich die Europäer nicht auseinander dividieren lassen, kann die Union gestärkt aus der Krise hervorgehen. Dennoch haben nationale Stereotypen und Vorurteile in der Krise wieder an Gewicht gewonnen. Mit großer Sorge beobachten wir den Zulauf, den populistische und extremistische Parteien in der EU erleben. Darum haben wir in dem Text „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“, den unsere Kirchen im Februar dieses Jahres im Rahmen der Ökumenischen Sozialinitiative veröffentlicht haben, betont: „Das Europäische Gemeinschaftsgefühl bleibt auf der Strecke. Deshalb ist die Bewältigung der Eurokrise nicht nur eine wirtschaftliche und finanzielle Frage, sondern eine essentielle Frage nach dem Zusammenhalt Europas.“
Wir haben aber auch Wert darauf gelegt, dass in der innereuropäischen Krise ein weiteres Element nicht in Vergessenheit geraten darf: „Europa als der reichste Kontinent der Welt darf sich selbst nicht genug sein. Er trägt Verantwortung in und für die Welt. Das gilt nicht nur außen- und sicherheitspolitisch, sondern vor allem auch wirtschafts-, sozial- und entwicklungspolitisch. Deshalb sollte Europa in den weltweiten Veränderungsprozessen eine wichtige Funktion einnehmen.“ Die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine haben deutlich gemacht, dass Frieden und Freiheit auch in Europa nicht selbstverständlich sind. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Mitgliedstaaten gemeinsam für Frieden, Freiheit und Wohlergehen in Europa und weltweit einsetzen. Es waren diese Ziele, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg veranlasst haben, sich zu versöhnen und zu einer Staatengemeinschaft zusammenzuschließen.
Dass wir unserer Verantwortung für schutzsuchende Menschen nur ungenügend gerecht werden, ist uns im vergangenen Jahr an den Außengrenzen der EU vor Augen geführt worden. Das Schiffsunglück vor Lampedusa im Mittelmeer, bei dem so viele Flüchtlinge aus Afrika ertrunken sind, hat unseren Blick wieder einmal auf einen Missstand gelenkt, der schon seit vielen Jahren andauert. Menschen sterben auf dem Weg nach Europa vor unseren Grenzen. Das dürfen wir nicht zulassen. Ein Europa, das sich der Würde jedes einzelnen Menschen verpflichtet fühlt, muss vielmehr für die sichere Aufnahme der Flüchtlinge, eine gerechte Verteilung der damit verbundenen Lasten und zügige Asylverfahren Sorge tragen. Ein solches Europa muss aber auch die Fluchtursachen in den Herkunftsländern nachhaltiger zu beseitigen suchen. Die Gestaltung einer menschenwürdigen Migrations- und Asylpolitik als auch die Verantwortung für die Schwachen in der Welt bleiben deshalb eine große Herausforderung für die europäische Politik.
Auch neue soziale und ökologische Herausforderungen werden die Politik der Europäischen Union in den kommenden Jahren prägen. Vor allem muss die EU, nicht zuletzt im Hinblick auf die anstehenden internationalen Klimaverhandlungen, einen essentiellen Beitrag für die notwendigen globalen Lösungen zum Klimaschutz leisten. Unser Umgang mit Energie hat Konsequenzen weit über unseren Lebenszeitraum hinaus und ist eine Frage intergenerationeller, globaler und ökologischer Gerechtigkeit.
Als Kirchen leben wir den Europagedanken über Grenzen hinweg in ökumenischer Gemeinschaft. Wir sehen uns daher auch in der Verantwortung, die Weiterentwicklung Europas konstruktiv und kritisch zu begleiten. Wir bitten Sie daher: Widerstehen Sie dem Desinteresse vieler Menschen an Europa. Die europäische Politik ist von höchster Relevanz für das tägliche Leben der Menschen in Europa und weit über Europa hinaus. Deshalb bitten wir Sie, sich über die Europawahl zu informieren und am 25. Mai 2014 Ihre Stimme abzugeben. Machen Sie Europa auf diese Weise zu Ihrer Sache!