"Ethik-Pflichtfach hat Bewusstsein für Religion geschärft"Schuldezernentin Locklair zum Berliner Religionsunterricht

Berlin (KNA) Nach gut 100 Tagen im Amt zieht die neue Leiterin des Dezernats Schule, Hochschule und Erziehung im Erzbischöflichen Ordinariat Berlin, Bettina Locklair, eine Zwischenbilanz. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach sie am Freitag in Berlin über die Zukunft des Religionsunterrichts, dessen Finanzierung neu mit dem Berliner Senat verhandelt werden soll.

KNA: Frau Locklair, der Senat ist bereit, mit den Religionsgemeinschaften und dem Humanistischen Verband (HVD) über eine bessere Refinanzierung des Religions- und Lebenskundeunterrichts zu verhandeln. Wie ist die Situation des Fachs aus katholischer Sicht?

Locklair: Wir freuen uns über eine deutlich vorhandene Verhandlungsbereitschaft des Landes, denn noch immer legt die Landesverwaltung für die Refinanzierung die Personalkosten des Jahres 2002 zugrunde. Hierdurch vergrößert sich die jährlich entstehende Finanzierungslücke stetig, die das Erzbistum mit einem Betrag von mehreren Millionen schließt. Dies zeigt, wie wichtig uns der katholische Religionsunterricht ist. Ebenso wird aber auch der enorme Handlungsdruck deutlich. Deshalb hoffen wir, dass eine baldige Lösung möglich ist.

KNA: Gehen die Kirchen und der HVD mit den gleichen Voraussetzungen in die Verhandlungen?

Locklair: Wir stehen alle vor dem gleichen Finanzierungsproblem, allerdings sind die rechtlichen Grundlagen unterschiedlich. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hat mit dem Land einen Finanzierungsvertrag geschlossen. Der HVD hat seinen Finanzierungsvertrag über Lebenskundeunterricht bereits 2012 gekündigt. Das Land Berlin hat sich gegenüber dem Erzbistum in einem "Abschließenden Protokoll" zur Übernahme von bis zu 90 Prozent der nachgewiesenen Personalkosten verpflichtet. Ein solches Protokoll ist nicht kündbar, selbst wenn das Land seine Zusage nicht einhält.

KNA: Wie haben sich die Teilnehmerzahlen entwickelt?

Locklair: In Berlin haben wir mit mehr als 24.800 Schülerinnen und Schülern stabile Zahlen. In den letzten Jahren ist die Zahl lediglich um knapp 1.000 gesunken. Vor dem Hintergrund der besonderen Rahmenbedingungen ist dies positiv zu bewerten. Wir verdanken es dem hohen und engagierten Einsatz unserer Religionslehrkräfte.

KNA: Vor welchen besonderen Schwierigkeiten steht das Fach in Berlin?

Locklair: Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen ist anders als in den meisten anderen Bundesländern kein ordentliches Lehrfach, sondern nur ein freiwilliges Unterrichtsangebot in der Verantwortung der jeweiligen Kirche oder Religionsgemeinschaft. Für die Schüler ist es somit ein zusätzliches Fach, für das es keine Zensur gibt, das nicht auf dem Zeugnis erscheint. Für die Schulen ist es ebenfalls ein zusätzlich unterzubringendes Fach. Die Stunden liegen oft am Rande des ohnehin reichlich gefüllten Schultages. Unsere Lehrkräfte sind meistens an mehreren Schulen für den Religionsunterricht zuständig, so dass sie erheblichen Fahraufwand haben und es schwer ist, sich in den Schulalltag und das Kollegium einzubringen. So besteht die Gefahr, dass sie als Fremdkörper empfunden werden. Ihr Engagement kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

KNA: Wie hat sich die Einführung des staatlichen Ethikpflichtfachs ausgewirkt?

Locklair: Auf unsere Schülerzahlen gar nicht. Die besondere Situation des Religionsunterrichtes ist durch die damit verbundene öffentliche Diskussion sogar stärker im Bewusstsein der Menschen. Zudem finden gute, projektbezogene Kooperationen statt, deren Erfolg vom Miteinander der beteiligten Lehrkräfte geprägt wird.

KNA: Welche Möglichkeiten einer Kooperation mit dem evangelischen Religionsunterricht sehen Sie?

Locklair: Schon heute kooperieren wir bei der Einsatzplanung und Absprachen in Bezug auf Lerngruppen und anderes. Eine "Bildungspartnerschaft" mit der evangelischen Kirche im Sinne eines kooperativen Religionsunterrichtes wie in anderen Bundesländern haben wir bislang nicht. Hier gibt es allererste Überlegungen. Wir müssen sehr genau schauen, was für den Religionsunterrichts in Berlin hilfreich ist. Auch die inhaltlichen Unterschiede der Konfessionen müssen bedacht werden.

KNA: Vom Senat gibt es den Vorschlag, den Religionsunterricht stärker an Schwerpunktschulen zu konzentrieren, um mit der bestehenden Finanzierung besser auszukommen. Was halten Sie davon?

Locklair: Unser Anliegen ist es, mit dem Religionsunterricht an möglichst vielen Schulen präsent zu bleiben. Da sehe ich die Grenzen eines solchen Modells. Zudem erhöht sich der Aufwand für die Schüler, die den gewünschten Religionsunterricht dann an einer fremden, gesondert aufzusuchenden Schule wahrnehmen müssen.

KNA: Wie ist die Lage des Religionsunterrichts im Vergleich von Berlin und Brandenburg?

Locklair: Auch in Brandenburg ist der Religionsunterricht ein freiwilliges Lehrfach. Die Schüler können es aber anders als in Berlin ersatzweise für das staatliche Fach "Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde" wählen, es ist Bestandteil der Stundentafel und des Zeugnisses, was für den Status des Religionsunterrichtes förderlich ist.

KNA: Wie hat sich der Berliner Volksentscheid "Pro Reli" nachträglich ausgewirkt, der 2009 zu keiner rechtlichen Besserstellung des Religionsunterrichts geführt hat?

Locklair: Natürlich haben wir uns ein anderes Abstimmungsergebnis gewünscht. Aber die öffentliche Diskussion hat den von der Bevölkerung empfundenen hohen Stellenwert des Religionsunterrichtes deutlich gemacht. Es ist eine neue Sensibilität Fragen gegenüber entstanden, die über den Schulalltag hinausgehen und unser Miteinander prägen.