Das Wort zum Tage vom 27. März 2015 für Deutschlandradio Kultur:
"Kann das Entsetzen noch gesteigert werden? Ja, ganz offensichtlich. Seit gestern Nachmittag, seit der Auswertung des Voice-recorders der am Dienstag dieser Woche in den Französischen Alpen abgestürzten Germanwings Maschine wissen wir, dass dieser Absturz ganz offensichtlich durch den Co-Piloten des Flugzeugs willentlich herbeigeführt wurde.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir fehlen schlicht die Kategorien, um dieses Geschehen einzuordnen. Kann man das noch Selbstmord nennen, wenn zugleich dabei 149 unschuldige Menschen mit in den Tod gerissen werden? Ist das einfach nur völlige Teilnahmslosigkeit am Schicksal der anvertrauten Menschen oder gar kaltblütiger Mord? Handelt es sich um einen Amoklauf in der Luft?
Vorgestern habe ich an dieser Stelle gefragt: Wie konnte es dazu kommen? Heute frage ich: Wie kann man so etwas tun? Bis gestern war es noch technisches Versagen, vor dem es kein Entrinnen gab. Bis gestern war durch den Absturz unser Vertrauen in die Beherrschbarkeit der Technik berührt. Doch nun kommt eine neue Dimension hinzu. Jetzt ist das Vertrauen in den Menschen selbst erschüttert. Mitunter bin ich früher mit einem mulmigen Gefühl in ein Flugzeug gestiegen. Wird alles gut gehen? Werden alle technischen Systeme störungsfrei arbeiten? In einem aber war ich mir immer absolut sicher, dass es die Crew und allen voran Kapitän und Co-Pilot gut mit mir meinen und alles für meine Sicherheit und mein Wohlergehen tun. Das gestern offenbarte Geschehen aber rührt an mein Urvertrauen.
Wir können nicht in den Kopf eines Menschen schauen. Wir wissen nicht, was in dem 27-Jährigen Co-Piloten vorgegangen ist, wie verzweifelt er war, oder ob eine Kurzschlussreaktion Auslöser dieses tragischen Geschehens war. Werden wir die Kraft aufbringen, ihn nicht zu verurteilen?
Was empfinden nun die Familien und Freunde der Opfer? Wandelt sich Trauer in Zorn? Und wie ergeht es den Eltern und Kollegen des Co-Piloten? Welche Selbstvorwürfe machen sie sich: Hätten wir etwas merken können oder vielmehr müssen?
Katastrophen sind immer auch die Hochzeiten der Seelsorger. Nicht ohne Grund, denn viele Menschen brauchen das offene Ohr, dem sie ihr Herz ausschütten können, die tröstende Hand, die sie ihnen vermittelt: Ich stehe dir bei. Frommes Gerede ist da völlig deplatziert. Wenn überhaupt das Wort „Gott“ in diesem Zusammenhang in den Mund genommen werden kann, dann aus Respekt vor den Opfern nur in der Frage des Karfreitag: Gott, wo bist du?