Pfarrer Grzegorz Mazur baut im Altarraum behände einen Klapptisch auf, breitet die weiße Altardecke aus und platziert darauf ein schwarzes Mikrofon. Noch ist es eine gute viertel Stunde bis Gottesdienstbeginn. Die Gläubigen kommen an diesem kalten Wintersonntag erst kurz vor zwölf in die unbeheizte evangelische Kirche von Löcknitz, um gemeinsam mit dem polnischen Redemptoristen-Pater die heilige Messe zu feiern.
Seit Oktober bildet das Dorf an der B 104 einen neuen Gottesdienststandort in der Pfarrei Pasewalk. Jeden Sonntagmittag finden sich seitdem 70 bis 100 katholische Gläubige in dem evangelischen Gotteshaus ein. Junge Familien, Kinder, Jugendliche, ältere Paare. „Pójdźmy wszyscy do stajenki“, singt die Gemeinde. „Ojcze nasz, któryś jest w niebie“, betet sie das Vaterunser. Polnisch ist in Löcknitz die Gottesdienstsprache.
In und um Löcknitz wohnen mehr als 800 katholische Christen und damit fast die Hälfe aller Katholiken der Pfarrei St. Otto Pasewalk. Die meisten zogen in den vergangenen zehn Jahren in die Dörfer unweit der deutsch-polnischen Grenze. Die Mitgliederzahl der Pfarrei Pasewalk stieg seit 2005 von knapp 1.000 auf heute über 2.000 Katholiken. Zugleich hat sich der Altersdurchschnitt der katholischen Christen merklich verjüngt. Preisgünstige Häuser und Wohnungen machen die deutschen Dörfer und Kleinstädte entlang der Grenze vor allem für junge polnische Familien attraktiv. Sie leben in Deutschland und arbeiten in der Metropolenregion Stettin. Die 400.000-Einwohnerstadt an der Oder liegt nur gut 25 Kilometer von Löcknitz entfernt, knapp 30 Minuten Fahrzeit mit dem Auto, 24 Minuten mit dem Zug. 54 Prozent der Katholiken der Pfarrei Pasewalk bringen mittlerweile einen polnischen Hintergrund mit.
Wachsende Pfarreien an der deutsch-polnischen Grenze
Auch die Pfarreien Hoppenwalde, Prenzlau und Schwedt wachsen. Vor allem grenznahe Orte im Großraum Stettin wie Gartz, Mescherin oder Penkun verzeichnen polnischen Zuzug. Mittlerweile besitzen knapp 40 Prozent der Katholiken der Pfarrei Prenzlau und knapp 30 Prozent der Pfarrei Schwedt polnischen Hintergrund. Von den gut 3.100 Katholiken des neuen Pastoralen Raums Hoppenwalde-Pasewalk stammen rund 1.300 aus Polen. Eine Herausforderung, der man sich im Rahmen des Pastoralen Prozesses „Wo Glauben Raum gewinnt“ stellen möchte. „Schon in der Findungsphase war der Zuzug polnischer Katholiken zentrales Thema“, erklärt Pfarrer Mazur. „Wie lassen sich die polnische Katholiken in unsere Gemeinden integrieren? Wie können wir in Zukunft zusammenwirken?“ formuliert er die zentralen Fragen, mit denen sich die Pfarreien an der deutsch-polnischen Grenze beschäftigen. Der Gottesdienst in Löcknitz bildet dabei einen wichtigen Schritt.
„Seitdem es in Löcknitz eine heilige Messe gibt, fühle ich mich jetzt wirklich zu Hause“, freut sich die 64-jährige Barbara Gischkowski. „Ich komme gerne hierher“, meint auch Piotr Press, „sonst bin ich nach Dobra gefahren. Jetzt kann ich hier gehen.“ Und der 18-Jährige fügt an: „Es ist einfacher in der Muttersprache zu beten. Ich kann mich auf Polnisch besser mit Gott verständigen. Im Deutschen ist es nicht so einfach, meine Gedanken klar auszudrücken.“ Iwona Staszkiewicz sitzt mit ihrer neunjährigen Tochter Nicola in der Kirchenbank. „Nicola geht in diesem Jahr zur Erstkommunion und da ist es sehr schön, dass sie das nun hier machen kann und die Kinder nicht nach Polen fahren müssen, um zur Erstkommunion zu gehen.“
Im Bürgerhaus neben der evangelischen Kirche hat das Erzbistum zwei Räume angemietet, ein Büro und einen Gruppenraum. Pfarrer Mazur bereitet dort Kinder auf die Erstkommunion vor. Auch Laura Lenard nutzt die neuen räumlichen Möglichkeiten und bietet Dienstagsnachmittag eine Gruppenstunde für sechs- bis zwölfjährige Jungen und Mädchen an. Nach Schulschluss kommen die Kinder für zwei Stunden zu ihr, bevor sie auf die Dörfer nach Hause fahren. „Wir basteln, malen, kleben, spielen etwas zusammen“, berichtet Lenard über das neue katholische Angebot, das bis zu 20 Kinder aus polnischen Familien nutzen. „Für Kinder gab es hier in Löcknitz kaum etwas. Diese Lücke möchte ich mit dieser Kreativzeit füllen.“
Brücken zwischen deutschen und polnischen Katholiken
Lenard arbeitet für das Projekt „Caritas rund um den Kirchturm“, das der Diözesancaritasverband und das Erzbistum im Rahmen des Pastoralen Prozesses gemeinsam tragen. Ziel ist es, vor Ort Brücken zu schlagen zwischen Caritas und pastoralem Leben. In der Pfarrei Pasewalk bedeutet das, erste Verbindungen zwischen deutschen und polnischen Katholiken zu knüpfen. Lenards Gruppe bietet für polnische Kinder wie für deren Eltern oftmals einen ersten Anknüpfungspunkt an ihre deutsche Pfarrei. Die 41-Jährige zog selbst vor neun Jahren mit ihrem Mann und ihren drei Kindern von Stettin nach Rossow. Heute ist sie im Pfarrgemeinderat von Pasewalk aktiv. Ihre Tochter Victoria besucht das deutsch-polnische Gymnasium in Löcknitz.
In katholischer Religion wird die 17-Jährige von Maria Bexten unterrichtet. Die Lehrerin ist ebenfalls zum Gottesdienst nach Löcknitz gekommen. Ihre Schüler und deren Eltern sollen sehen, dass sie zur Kirche geht. „In Polen waren es die Kinder gewohnt, von einem Priester oder wenigsten von einer Ordensschwester in katholischer Religion unterrichtet zu werden. Dass eine normale Lehrerin wie ich das mache, das sind sie nicht gewohnt.“ Seit acht Jahren unterrichtet Bexten in Löcknitz Religion. Als sie begann, waren es 25 Kinder an der Grundschule. Heute unterrichtet sie mittlerweile 100 Grundschüler, die fast alle einen polnischen Hintergrund mitbringen. Hinzu kommt das Gymnasium, in dem 80 Schüler am katholischen Religionsunterricht teilnehmen. Auch an anderen Schulen wächst die Zahl katholischer Kinder. Eine weitere Lehrkraft für die Region absolviert momentan ihr Referendariat. „In gewisser Hinsicht sind die Kinder und Jugendlichen mit polnischen Eltern anders religiös sozialisiert als die deutschen“, berichtet Bexten aus ihrer Erfahrung, „sie leben ihre Frömmigkeit anders und setzen andere Schwerpunkte.“ Vom Religionsunterricht erwarteten sie mehr Katechese und weniger Auseinandersetzung mit ethischen Fragen, mehr Unterweisung im eigenen Glauben und weniger den Blick auf andere christliche Konfessionen und Weltreligionen.
Der Wechsel von der volkskirchlich geprägten Religiosität Polens in die Diasporasituation Vorpommerns und Brandenburgs fällt den katholischen Neubürgern nicht leicht und hemmt die Integration polnischer Katholiken in deutsche Pfarreien. So wächst zwar die Zahl der Pfarreiangehörigen, aber im Leben der Pfarrgemeinde bis hin zum Gottesdienst spiegelt sich dieses Wachstum bislang nur in sehr geringem Maße wider. Viele der polnischen Katholiken fühlen sich weiterhin in ihren alten Pfarreien jenseits der Grenze beheimatet. Der Gottesdienst in der Muttersprache, die eigenen Traditionen, die volkskirchlich geprägte Frömmigkeit, all das ist für sie in wenigen Autominuten erreichbar. Die polnischen Pfarrkirchen in Dobra, Kołbaskowo, Mierzyn oder Stettin liegen oftmals näher an den deutschen Grenzdörfern als die Pfarrorte Pasewalk, Schwedt oder Prenzlau.
Die Muttersprache: Chance oder Risiko
Insbesondere die Sprache bildet eine Barriere. Zugleich bietet sie eine große Chance im Bemühen, mit den neuen Mitgliedern in Kontakt zu treten, das zeigt die Pfarrei St. Otto. Der Pfarrbrief bringt wichtige Vermeldungen auf Polnisch, auf der Internetseite finden sich Informationen in polnischer Sprache und auch im Rahmen der Sonntagsmesse reagiert Pfarrer Mazur: „In Pasewalk verlesen wir das Evangelium und die Vermeldungen in zwei Sprachen. Manchmal beten wir auch die Fürbitten im Wechsel. Bei größeren Festen begrüße ich die Besucher zweisprachig und wir singen ein, zwei polnische Lieder.“
Mit der polnischen Messe in Löcknitz hat sich nun eine Gottesdienstgemeinde mit katholischen Christen gebildet, die auf der Suche nach ihrer spirituellen Heimat bislang nach Polen gefahren sind. Sie besitzen nun die Möglichkeit, auf deutscher Seite, in ihrer eigentlichen Pfarrei St. Otto Pasewalk, auch im Glauben sesshaft zu werden. Das Risiko, dass sich eine muttersprachliche Gemeinde mit starkem Eigenleben entwickelt, erscheint allerdings hoch. Die Muttersprache bleibt die Sprache des Herzens, auf die ein Mensch im Gebet am liebsten zurückgreift. Dennoch tragfähige Brücken und ein intensives Miteinander entstehen zu lassen, das bleibt die große Herausforderung, vor der der neue Pastorale Raum Hoppenwalde-Pasewalk sowie die Pfarreien entlang der Grenze stehen. Unterstützung erhalten sie von Klaudia Wildner-Schipek. Die neue Projektreferentin „Glauben ohne Grenzen“ für aufsuchende Pastoral, die Mitte Januar ihr Büro in Löcknitz bezogen hat, lebt seit acht Jahren im Grenzgebiet. Die Politologin hat selbst einen polnischen Hintergrund und beschäftigt sich seit längerem mit dem Miteinander in der Grenzregion. „Für Kinder, die hier aufwachsen, ist die führende Sprache die deutsche Sprache“, sieht Wildner-Schipek einen hoffnungsvollen Ansatzpunkt, „vielleicht entsteht auf dieser Ebene eine Form von Zusammengehörigkeit, die es sowohl den deutschen wie auch den polnischen Katholiken ermöglicht, sich hier in der Kirche wohlzufühlen.“