„Erzählen Sie: für was schlägt momentan ihr Herz?“ Direkt und gerade heraus fragt Martin Grebing die Frau gegenüber. Speed-Dating. Drei Fragen stellen, drei Antworten, dann ertönt die Glocke und die Gesprächspartner wechseln. Florence Vettraino ist ehrlich. Sie arbeite momentan sehr viel. „Ich begegne jeden Tag so vielen Menschen, das sind so intensive Begegnungen, dass mein ganzes Wesen davon beansprucht ist.“
26 Frauen und Männer sitzen sich in zwei Stuhlreihen nah gegenüber. Sie haben sich an diesem Abend im Pfarrheim von Herz Jesu in Berlin-Prenzlauer Berg versammelt, um sich näher kennenzulernen, vielleicht eine neue Beziehung einzugehen, mindestens aber sich zu vernetzen. Die Teilnehmer sollen Lust aneinander bekommen und schauen, ob sie zusammen passen, schickt Daniela Bethge vorweg. Geladen haben zu diesem Tête-à-Tête die Kirchengemeinde sowie das Projekt „Caritas rund um den Kirchturm“. Mit dem Netzwerktreffen „Menschen im Pastoralen Raum“ in Herz Jesu startet das Caritas-Projekt den Pilotversuch, Verantwortliche aus Pfarrei und Orten kirchlichen Lebens gegenseitig bekannt zu machen. Im Rahmen des Pastoralen Prozesses „Wo Glauben Raum gewinnt“ soll endlich Schluss sein, mit weißen Flecken auf der katholischen Landkarte des eigenen Pfarrgebiets.
Wie Martin Grebing, Mitglied des Pfarrgemeinderats, und Florence Vettraino, Leiterin des Caritas-Flüchtlingsheimes „Elisabethhaus“, ging es vielen an diesem Abend. „Ich weiß wohl, dass es ein Bundeswehrkrankenhaus auf unserem Pfarrgebiet gibt und dass dort ein Seelsorger arbeitet“, gibt Pfarrgemeinderatsvorsitzende Tina Heller freiweg zu, „aber erst seit heute weiß ich, wer das ist, wie er aussieht, was er da macht.“ Heller ist beeindruckt, wie viele Orte kirchlichen Lebens es in ihrer Pfarrei zu entdecken gibt: das St. Hedwig-Krankenhaus, das ökumenische Frauenzentrum „Evas Arche“ oder die Kindertagesstätte Herz-Jesu, Caritas-Einrichtungen wie die Schuldnerberatung, die Erziehungs- und Familienberatung oder das Flüchtlingsheim, die Katholische Akademie, das Projekt St. Adalbert der Gemeinschaft Chemin Neuf oder Vertretungen bundesweiter Einrichtungen wie das Büro von Misereor oder die Geschäftsstelle des Familienbundes der Katholiken.
Miteinander statt Nebeneinander
„Wir arbeiten dafür, dass Vernetzung und Beziehungsaufbau zwischen Gemeinden und Orten kirchlichen Lebens gelingt. Dafür bieten wir unsere Hilfe an“, erklärt Daniela Bethge, Leiterin der Projektstelle „Caritas rund um den Kirchturm“. Die Projektstelle hat den Auftrag, Pfarreien und Orte kirchlichen Lebens zusammenführen. Es sollen Partnerschaften entstehen, die dem katholischen Leben in künftigen Pastoralen Räumen einen Schub geben können. Daniela Bethge und ihr Kollege Benedikt Zimmermann wollen ein Miteinander statt ein Nebeneinander von Pfarreien und Orte kirchlichen Lebens.
Damit das gelingt, entwickeln sie kreative Werkzeuge wie Speed-Dating und Handpuppen-Interview. Am Ende des Abends in Herz Jesu bekommen die versammelten Verantwortlichen vom Leiter der Schuldenberatung über das Kirchenvorstandsmitglied und dem Regionalgeschäftsführer der St. Hedwig Kliniken hin zum Pfarrer von Herz Jesu einen Papierbogen, auf dem sie verbindlich ein Kennlernangebot in ihrer Einrichtung allen Anwesenden unterbreiten: ein Rundgang durch die Charité mit dem Krankenhausseelsorger, eine Präsentation des ehrenamtlichen Engagements der Pfarrei, ein Abend zum Thema Willkommenskultur in der Flüchtlingsunterkunft.
„In unsere Einrichtungen kommen oftmals Menschen, die kaum Bezug zur Gemeinde haben und die vom Glauben nur noch wenig wissen“, beschreibt Frank Petratschek, Leiter der Caritas-Region Berlin Nord, die Chancen, die in einem neuen Blick auf die Orte kirchlichen Lebens liegen. „In unseren Einrichtungen können sie ihre Ängste und Vorbehalte gegenüber Kirche überwinden und neue Anknüpfungspunkte zu Kirche und Glaubensfragen finden.“ Pater Jacek Mleczko, Pfarrer von Herz Jesu, erinnert an die Professionalisierung der Grundvollzüge von Kirche: „Diese Aufgaben, die sich eigentlich jedem Christen stellen, haben wir wegdelegiert. Als Gemeinde dürfen wir dennoch niemals vergessen, uns dieser Aufgaben immer wieder neu zu vergewissern. Der Prozess hilft uns, wieder zu diesen Quellen unseres Glaubenslebens vorzudringen. Dank des Wissens umeinander, kann die Gemeinde künftig Menschen in unserem Pastoralen Raum entsenden.“
Sozialräumliches Denken fördern
„Wir wollen zum einen das soziale Engagement von Gemeinden an Orten kirchlichen Lebens fördern“, erklärt Bethge die Ziele des Projektes „Caritas rund um den Kirchturm“, das von Caritas und Erzbistum zu gleichen Teilen getragen wird. „Zum anderen wollen wir das sozialräumliche Denken und Handeln in Pastoralen Räumen fördern.“ Als dritten Aufgabenbereich nennt sie die Entwicklung des kirchlichen Profils von Orten kirchlichen Lebens durch eine spirituelle und theologische Personalentwicklung: „Wie werden Orte kirchlichen Lebens zu Orten kirchlichen Lebens?“ Bethge bietet Weiterbildungen und Coachings für Caritas-Mitarbeiter, pastorales Personal und Ehrenamtliche aus Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat zu allen drei Bereichen an, zum Beispiel Exerzitien für Kita-Mitarbeiterinnen in Kloster Birkenwerder oder Fortbildungseinheiten zu Caritasthemen, die aus christlicher Perspektive betrachtet werden. „Was heißt christlich in der Altenpflege? Gesundheit, Sterben, Tod? Oder für Mitarbeiter in der Schuldnerberatung: Was bedeutet Schuld aus theologischer Sicht?“
Was als Pilotprojekt in Herz-Jesu in Berlin-Prenzlauer Berg an diesem Abend beginnt, bietet die Projektstelle „Caritas rund um den Kirchturm“ ab jetzt im ganzen Erzbistum an. Unterstützung erhalten Bethge und Zimmermann dabei durch Caritasmitarbeiter in drei Modellregionen in Berlin, Brandenburg und Vorpommern. In Berlin-Moabit, in Fürstenwalde und Frankfurt (Oder) sowie in Anklam werden künftig Mitarbeiter der Caritas als Ansprechpartner Pfarreien und Orte kirchlichen Lebens unterstützen, miteinander in Beziehung zu treten. Sie helfen, dass Vernetzung gelingen kann.
Anfragen und Informationen bei der Projektstelle „Caritas rund um den Kirchturm“ unter Telefon: 0 30/6 66 33 12 66 oder unter d.bethge(ät)caritas-berlin.de.