„Wie soll Kirche künftig aussehen?“Das Team des Dezernates Seelsorge über das neue Arbeitsmaterial zum Thema Kirchenbild

Das neue Kirchenbilder-Tool, ausleihbar im Dezernat Seelsorge. Foto: Herrmann

Im Interview im Dezernat Seelsorge (v. l. n. r.): Maaß, Birkner, Böhnstedt, Kießig, Raabe. Foto: Herrmann

Über Kirchenbilder ins Gespräch kommen? Das ermöglicht das neue kreative Arbeitsmaterial „Kirchenbilder“, das vom Dezernat Seelsorge des Erzbischöflichen Ordinariats entwickelt wurde. Mit Uta Raabe und Christopher Maaß, Bettina Birkner, Christoph Kießig und Carla Böhnstedt vom Dezernat Seelsorge sprach Alfred Herrmann.

Was ist die Grundidee des neuen Materials?

Maaß: Im Bukal-Institut auf den Philippinen haben wir vier schematische Darstellungen kennengelernt von verschiedenen Vorstellungen, wie Kirche aussehen kann. Diese Bilder sind vorgegeben und statisch. Wir haben die Idee aufgegriffen, waren uns aber einig: wir brauchen etwas Entwicklerisches, um flexibel und frei der Frage nachzugehen: Wie können wir in Zukunft Kirche sein?

Kießig: Jeder trägt ein Bild von Kirche in sich. Das kann ein Volkskirchliches sein mit Pfarrer, Pfarrkirche, in der ich sonntags zur Messe gehe, und Religionsunterricht, oder eines, wie wir es auf den Philippinen erlebt haben, wo Kirche in Privathäusern und Garagen gelebt wird, in kleinen Gruppen, oft ohne zentrale Pfarrkirche. Geprägt ist dieses persönliche Kirchenbild durch unsere Herkunft. Im Osten aufgewachsen habe ich ein anderes Kirchenbild als jemand, der aus West-Berlin kommt oder aus Süddeutschland oder Münster hergezogen ist. Diese verschiedenen Vorstellungen abzubilden und über sie ins Gespräch zu kommen, das soll das neue Material ermöglichen. 

Raabe: Das Material hilft, sich gemeinsam sowohl über die individuellen Kirchenbilder auszutauschen – was ist für Dich an Kirche wichtig, was für mich – als auch einen Weg von Kirchenentwicklung zu beschreiten und der Frage nachzugehen: wie soll Kirche künftig aussehen, in unserem Pastoralen Raum, in unserer neuen Pfarrei.

„Jeder trägt ein Bild von Kirche in sich.“

Und wie kommt man von einem persönlichen zu einem gemeinschaftlichen Kirchenbild?

Böhnstedt: Wir geben kein Kirchenbild vor, an dem sich die Leute abarbeiten müssen, sondern das Material lädt ein und macht Mut, sich damit auseinanderzusetzen, was für das eigene Kirchenbild wichtig ist und wie das mit dem Kirchenbild der anderen in der Gemeinde zusammengeht, wie man die Unterschiedlichkeiten respektvoll aushalten kann und arbeitsfähig bleibt.

Birkner: Oft genug redet man nur übereinander. Mit dem Material hat man die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Und selbst wenn ich mich danach immer noch mit dem Kirchenbild des anderen schwer tue, weiß ich aber besser, auf was seine Vorstellung basiert.

Raabe: Das persönliche Kirchenbild gibt einem Halt, Kontinuität und Sicherheit. Das will ich natürlich bewahren. In einem Veränderungsprozess, wie dem unseren, stellt sich die Frage: inwieweit kann man gemeinsam mit anderen eine Vorstellung entwickeln, wie Kirche künftig aussehen soll. Denn das eigene Bild, wie Kirche zu sein hat, prägt natürlich den persönlichen Standpunkt in der Diskussion, was bleiben soll oder was sich verändern kann.

Das bietet doch auch reichlich Konfliktpotential?

Raabe: Wir sollten keine Angst vor Konflikten haben, sondern vor Konflikten, die nicht früh genug ausgesprochen werden. Differenzen und Streit sind Grundvoraussetzungen, einen gemeinsamen Weg zu gestalten. Dabei gilt es, zu verstehen, warum dem anderen diese Form, dieser Inhalt so wichtig ist. Das soll das Motto unseres Materials ausdrücken: das ist deins – das ist meins – das ist unser Weg.

„Es braucht einen Bewusstseinswandel“

Inwieweit blockieren feste Kirchenbilder Kirchenentwicklung vor Ort?

Kießig: Vieles ist in Gemeinden bereits so sehr in Stein gemeißelt, dass es zunächst einen Bewusstseinswandel braucht, einen Wandel der Bilder im Kopf. Das kann gelingen, indem wir andere Bilder wahrnehmen und uns dabei beobachten, wie durch sie Bewegung in unsere Bilder kommt.

Maaß: Pfarreien haben oftmals ein festes Gepräge. Sie leben Kirche in einer ganz bestimmten Weise. Wer dazu passt, der kommt, und wer nicht dazu passt, bleibt schlimmsten Falls weg. Wir brauchen Veränderung und Offenheit, damit wir mehr als nur zehn oder zwölf Prozent unserer Mitglieder erreichen. Wir müssen eine Idee davon bekommen, dass die Vielfalt der Menschen, die Kirche sein wollen, viel größer ist, als die, die zu unseren Gottesdiensten und Veranstaltungen kommen.

Raabe: Ja, katholische Christen beantworten auf sehr unterschiedliche Weise die Frage, was heute als Christ unsere Aufgabe in dieser Welt ist. Da gibt es jene, die jeden Sonntag in die Kirche kommen und sich in der Pfarrei engagieren. Das ist aber nur ein Teil der pfarrlichen Realität.

Was heißt das, wenn Gemeinden sich allein auf diesen Teil der pfarrlichen Realität beschränken?

Raabe: Wenn wir sagen: „Das sind die, die „nur“ am Sonntag kommen“, müssen wir aufpassen. Dieses „nur“ ist eine Abwertung, durch die wir unser persönliches Kirchenbild zur Norm erheben. Es gibt dann die, die „nur“ am Sonntag, die „nur“ an Weihnachten, die „nur“ zur Taufe und Trauung kommen. Was fehlt, ist, dass ich im Sinne Jesu sage: „Schön, dass du da bist. Was willst du, dass ich dir tue?“ Meinen wir daher nicht, erst wenn alle meine Norm erfüllen, funktioniert es richtig, sondern lernen wir die Vielfalt auszuhalten.

Böhnstedt: Diese Vielfalt ist ja keine Bedrohung, sondern ein großer Reichtum. Dadurch gewinnen wir ganz andere Möglichkeiten. Wir erfahren eine Weitung unserer Horizonte.

„Wir erfahren eine Weitung unserer Horizonte“

Formulieren die kürzlich veröffentlichten Leitgedanken und insbesondere deren zentraler Aspekt der Communio das Kirchenbild des Erzbistums?

Raabe: Da bin ich vorsichtig. Die Leitgedanken setzen einen Rahmen, zeigen, in welche Richtung es geht. Dazu gehört auch: im Erzbistum Berlin gestalten wir Kirche als Communio, als Gemeinschaft in unserer Überlieferung, in unserem Auftrag und angesichts unserer Zeit.

Birkner: Communio entspricht mehr einer Haltung als einem Kirchenbild. Ich sehe mich als Teil einer Gemeinschaft, in die ich einen Aspekt von Gottes Gegenwart einbringe, so wie die anderen auch. Und nur wenn wir all diese Aspekte der Gemeinschaft zusammennehmen, dann entsteht diese Communio. Da spielt es keine Rolle, ob die oder der einzelne sonntags in den Gottesdienst kommt oder ob er „nur“ Kirchensteuer zahlt, ob er eine Leitungsfunktion wahrnimmt oder „nur“ die Kirche putzt. Wichtig bleibt die Haltung.

Kießig: In unserem großen Erzbistum gibt es unterschiedlichste Vorstellungen, wie Kirche aussehen soll. Unser Bischof mahnt uns daher: wir sollen zusammenbleiben und uns nicht spalten, sonst werden wir unserem Auftrag nicht gerecht. Communio bildet dabei die Folie, auf der das Ganze abläuft.

Maaß: Die Leitgedanken sind eher eine theologische Vergewisserung. Communio steht für Beziehung und ist von Gott ausgehend zu denken. Sie umfasst eine Grundhaltung, die im Alltag zu konkretisieren ist. Was heißt das in der Stadt bei all der Einsamkeit älterer Menschen, oder auf dem Land, wo aufgrund der Entfernungen unklar ist, wie überhaupt Beziehung gelebt werden kann.

Raabe: Wenn wir einen Gott bekennen, der in seiner Dreifaltigkeit in sich Beziehung ist, dann geht es nicht anders, als dieser Spur zu folgen. Das ist der Grund, warum wir sagen: Communio ist die Haltung und die Verpflichtung, sie ist unser Auftrag, der uns in der übergroßen Liebe Gottes geschenkt wird. Treten wir mit anderen Menschen in Beziehung und gestalten wir sie in all den Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten!


Wo gibt es das Material?

Wer das Material nutzen möchte, wendet sich an das Dezernat Seelsorge im Erzbischöflichen Ordinariat. Wird es zum ersten Mal eingesetzt, begleitet ein Teamer des Dezernats vor Ort. Angesprochen sind alle Interessierten, zum Beispiel Pastoralausschüsse, Familienkreise, Verbandsgruppen, Pfarrgemeinderäte.

Kontakt: 0 30/32 68 45 22
christopher.maaß@erzbistumberlin.de

In der Praxis: das Kirchenbilder-Tool im Maximilian-Kaller-Kreis