Der verhüllte Gott

Michael Triegel, Deus absconditus, 2013 © VG Bild-Kunst, Bonn 2022 / Foto: Walter Wetzler

In der Kirche St. Matthias in Berlin Schöneberg wird am 27. März 2022, am 4. Fastensonntag in der Messe um 11 Uhr ein großes zeitgenössisches Gemälde vorgestellt. Es ist eine großzügige Schenkung ungenannter Stifter. Unser aller DANK ist Ihnen sicher.

Das Bild trägt den Titel DEUS ABSCONDITUS (2013) und wurde von Michael Triegel mit einer Mischtechnik auf Leinwand (160 x 260 cm)  gemalt. Es hängt in der Beichtkapelle.

Der Künstler, geboren 1968 in Erfurt, gehört der sogenannten Neuen Leipziger Schule an. Als er von Anfang bis Mitte der 90er Jahre bei Professor Arno Rink Malerei und Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte, hatte er sich bereits dem Realismus verschrieben. Wir sehen einerseits vertraute Figuren, die aber andererseits immer wieder hinterfragt werden. Diese Methode beherrscht Triegel perfekt. Manche seiner Motive bleiben rätselhaft.

Im Zentrum von DEUS ABSCONDITUS steht ein großes Tuch, das wie ein Vorhang den Gekreuzigten verdeckt. Ist es ein Fastentuch? Wir kennen das erste Gebot im Dekalog: Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott. Diese jüdisch-christliche Tradition hat sich in Werken der Malerei von Anfang an niedergeschlagen. Dahinter steckt die Frage nach dem wahren Bild Christi (vera icon). Selbst beim Turiner Grabtuch bleiben Zweifel zurück. Zwar singen wir in der stillen und heiligen Nacht vom holden Knaben im lockigen Haar, aber wir wissen dennoch: Es gibt kein Passbild von Jesus. Wir feiern, dass Gott Mensch geworden ist, aber wir fragen zuweilen auch: Wo bist du Gott? Bist du da? Gerade in der Zeit der Pandemie haben viele Menschen das Gefühl von Gott verlassen zu sein. Große Heilige haben diese Erfahrung gemacht, u.a. die Heilige Mutter Teresa (1910-1997) von Kalkutta.

Vor einem schwarzen Tuch sitzt Jesus, der kein Gesicht hat, an einem langen Tisch. Alleine.
Das Gemälde Abendmahl (1994) ist nicht nur im Format ein Pendant zum Bild in St. Matthias. Hier sehen wir nur die Gewänder Jesu. Das hat einen Vorteil. Wir dürfen unserer Fantasie freien Lauf lassen, was sein Aussehen betrifft. Es gibt in allen Ländern der Erde einen anderen Jesus. Er hat viele Gesichter. Er trägt letztlich die Züge eines jeden Menschen.

In St. Matthias ist es die Gottesmutter auf der linken Seite, die wir nur erahnen können. Denn wir sehen nur ihr Gewand. Vor ihr steht eine Schreibmaschine mit der Aufschrift „Ideal“. Sie steht für die Verkündigung der christlichen Botschaft in der Moderne. In beiden Gemälden malt Triegel realistisch, aber in beiden Fällen zeigt er die Person gar nicht. Sie bleibt abstrakt. Dazu passt sehr gut das Gebet von Romano Guardini über die Heiligkeit Gottes. Es ist in dem Buch Theologische Gebete enthalten. Guardini betete es 1948 in St. Canisius in Berlin vor:

„Du bist der Heilige, o Gott. Du bist das lebendige Geheimnis. Alles hast Du erschaffen und alle Dinge erfüllest Du. Alle Gestalten sind Gleichnisse Deiner Herrlichkeit, und was überall Sinn und Wert hat, hat ihn als wie einen Abglanz Deines Lichtes. So bist Du der wahrhaft Gegenwärtige und Offenbare. Und dennoch bist Du verhüllt, denn unser Blick ist gehalten und unser Herz verwirrt. Du entschwindest unseren Augen, und Dein Licht wird zur Unzugänglichkeit, in die wir nicht eintreten können. Du entziehst Dich unseren Gedanken, und zu allem, was wir von Dir sagen mögen, sprichst Du: Das bin ich nicht. Aber wir ahnen Dich überall, o Herr. In Dir ist die Antwort auf alle Fragen.“