Ein Bett, Sicherheit und dann der RestNeue Notunterkunft für Frauen im Schatten der Hedwigskathedrale

Dompropst Przytarski und Erzbischof Koch teilen beim Solidaritätsessen Suppe aus. Foto: Walter Wetzler

Berlin (KNA) Eine junge Frau Mitte 20 steht etwas unbeholfen in einem Zimmer mit Stockbetten. Sie ist schwanger, ungefähr im sechsten Monat. Dunkelhaarig und stark geschminkt, modisch gekleidet. Nichts unterscheidet sie äußerlich von vielen anderen Frauen, denen man in Berlin auf der Straße begegnet. Nur ihr Blick wirkt beschämt. Sie hat viel Unschönes erlebt. Jetzt sucht sie Zuflucht in "Evas Obdach".

Die Notübernachtungsstelle speziell für Frauen gibt es bereits seit Ende Dezember im Bernhard-Lichtenberg-Haus bei der Berliner Sankt-Hedwigs-Kathedrale, wo früher der katholische Berliner Erzbischof wohnte. Am Sonntag wurde die Einrichtung des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) nun offiziell eröffnet.

Nach Schätzung des SkF leben in der Hauptstadt bis 3.000 Frauen auf der Straße. Für sie gab es bisher nur eine ganzjährige frauenspezifische Notübernachtungsmöglichkeit. Jetzt hat der Senat die speziell für Frauen bestimmten Plätze von 10 auf 30 aufgestockt. Neben "Evas Obdach" bietet auch eine Notunterkunft der Arbeiterwohlfahrt neuerdings zehn Plätze an.

Die zehn Betten in "Evas Obdach" verteilen sich auf zwei Zimmer. Sie sind von Frauen unterschiedlichen Alters meistens belegt - hauptsächlich von Deutschen, wie Einrichtungsleiterin Natalie Kulik sagt. Einlass ist täglich ab 19.00 Uhr. Wer betrunken oder "auf Drogen" ist, muss jedoch draußen bleiben. Der Aufenthalt ist in der Regel auf zwei Wochen begrenzt. Wer länger bleiben will, muss ernsthaft eine Beratung beginnen. 

Sie soll den Frauen helfen, eine neue Lebensperspektive zu entwickeln. "Indem ihre Grundbedürfnisse versorgt sind, können sie hier zur Ruhe kommen und sind nicht vollkommen eingenommen vom täglichen Überlebenskampf," erklärt Kulik. "Daher auch unser Motto 'Housing First': Erst wenn man ein Dach über dem Kopf hat, kann man sich den alltäglichen und bürokratischen Dingen widmen und den Anschluss zurück ins Leben finden."

Dafür sind jedoch dringend mehr Sozialarbeiter und Wohnungen nötig, wie Kulik betont. Sie betreut ihre Klientinnen zusammen mit einer weiteren Sozialarbeiterin und 20 Helferinnen. Viele, die in die Unterkunft kommen, seien überfordert von Anträgen und dem Gedränge auf dem Berliner Wohnungsmarkt. "Nach Hilfe zu fragen, ist für viele beschämend", berichtet Kulik. Die Erfahrung von Gewalt in der Familie macht ihre Lage noch schwieriger. "Wir brauchen hier einen langen Atem. Vertrauen aufzubauen, kommt an erster Stelle", so die Leiterin.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) schätzte die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland im Jahr 2014 auf 335.000, mehr als jeder Vierte von ihnen eine Frau. Die Prognose des Dachverbands für 2018 liegt bei 536.000 Wohnungslosen. "Wir fordern bereits seit 30 Jahren, dass die Bundesregierung die Wohnungslosigkeit statistisch erfassen lässt", so BAGW-Geschäftsführer Thomas Specht. Denn wo es keine genauen Zahlen gibt, wird das Problem nach seiner Erfahrung oft verdrängt.

Auch "Evas Obdach" hat ein anstrengendes Jahr der Wohnungssuche hinter sich, wie Kulik berichtet. Viele Vermieter winkten ab, als sie hörten, wer einziehen soll. Berlins Staatssekretär für Integration, Daniel Tietze (Linke), dankte der Kathedralgemeinde, dass sie es möglich machte, "Evas Obdach" im Stadtzentrum zu eröffnen.

Eine Dauerlösung ist aber auch das Bernhard-Lichtenberg-Haus nicht. Zusammen mit der benachbarten Kathedrale will das Erzbistum es in einigen Jahren umfassend sanieren und umbauen. Ungeachtet dieser Aussichten ist der Optimismus des Betreuerteams ungebrochen. "Indem sich die Frauen an dem Projekt beteiligen, stärken sie ihre Kompetenzen und erhalten ihre Würde zurück", sagt Elke Ihrlich, Bereichsleiterin der Offenen Sozialarbeit im SkF.

In dem Berliner Erzbischof Heiner Koch hat das Projekt einen starken Unterstützer. Bei der Eröffnung rief er dazu auf, den obdachlosen Frauen die gebührende Achtung zu erweisen. "Sie sind eine Bereicherung auch für uns", betonte der Erzbischof nach Gesprächen mit betroffenen Frauen. "Ich bin dankbar, dass sie hier sind."