Berlin (KNA) Blutrote Schriftzüge an den Wänden, dicke Schafswolle auf dem Boden und Stricke an der Decke: Die Sonderausstellung "Gehorsam" im Jüdischen Museum Berlin fordert den Besucher sprichwörtlich heraus, sich mit der Opferung Isaaks durch Abraham und der Beziehung zu Ismael intensiv auseinanderzusetzen. Die Schau von Filmemacher Peter Greenaway und seiner Frau und Multimedia-Künstlerin Saskia Boddeke widmet sich in 15 Räumen nicht nur aus jüdischer, sondern auch aus christlicher und islamischer Perspektive der Opferszene. Für alle drei abrahamitischen Religionen ist Genesis 22 ein zentraler Moment, der jedoch jeweils unterschiedlich gedeutet wird.
Die Interpretationsmöglichkeiten standen im Zentrum eines zweitägigen Symposiums in der Akademie des Jüdischen Museums. Zu der Tagung mit dem Titel "Kill me a Son!" unter Leitung des renommierten Judaisten und Museumsdirektors Peter Schäfer kamen zahlreiche jüdische, islamische und christliche Theologen nach Berlin. Unter ihnen waren deutsche Wissenschaftler wie der evangelische Kirchenhistoriker Christoph Markschies, die Arabistin Angelika Neuwirth oder der katholische Erfurter Theologe Benedikt Kranemann, aber auch Forscher aus den USA, Großbritannien und Schweden.
Bereits die Vielzahl der Schwerpunkte und ausgewählten Autoren zeigten, wie vielseitig die Interpretationsmöglichkeiten sind. Der Mainzer Forschungsprofessor für Hebräische Bibel und Geschichte Israels, Isaac Kalimi, etwa fokussierte sich auf unterschiedliche Interpretationen der Rabbinen - der jüdischen Gelehrten des Altertums. Grundsätzlich werde die Opferung als eine Prüfung für Abraham gesehen, erklärte Kalimi. Es gebe aber auch Stimmen, wonach Abraham Gott missverstand, oder andere Gelehrte, die Abraham und Satan die Schuld an der versuchten Opferung zuschrieben.
Der Berliner Theologe Markschies widmete sich dem christlichen Universalgelehrten Origenes und seinen Predigten. Bei dem aus Alexandria stammenden Kirchenvater sei die enge wechselseitige Beziehung jüdischer und christlicher Bibelauslegung und Kommentierung besonders gut erkennbar. Auch wenn sich keine Namen in den Aufzeichnungen des Gelehrten aus dem 3. Jahrhundert fänden, sei offensichtlich, dass er sich mit jüdischen Rabbinen austauschte. Laut Markschies ist die Opferung in Origenes' Deutung nicht nur eine "Versuchungsgeschichte" für Abraham. Der Stammvater sei ein Bild künftiger Wahrheit und die Opferung ein Vorausbild dafür, dass Gott seinen Sohn am Kreuz sterben lässt und er wieder aufersteht. Dabei trage Isaak sein Brennholz wie Jesus sein Kreuz. Auch wenn diese Bilder christlich erschienen, gebe es ähnliche Vergleiche in jüdischen Auslegungen der Bibelstelle, sagte Markschies. Fest stehe, jüdische und christliche Gelehrte hätten sich ausgetauscht, untereinander polemisiert und auch voneinander gelernt.
Auch der Konflikt oder das Wetteifern der beiden Halbbrüder Isaak und Ismael wurde beleuchtet. So berichtete der Islamwissenschaftler Younus Mizra über die Debatte zwischen Juden und Muslimen, ob Isaak oder Ismael das Opfer gewesen sei. So sei in früheren Zeiten auch von Muslimen Isaak als das Opfer betrachtet worden, erst später habe es eine Neuinterpretation gegeben. Beide Thesen würden mittels Koranstellen untermauert und seien dann einige hundert Jahre später widerlegt worden. Mizra plädierte zugleich dafür, ganz von der Frage der Person abzukommen. Vielmehr sei es eine Geschichte um Abraham und eine Frage des Gehorsams in allen Religionen.