Kinder nehmen selten Rücksicht auf ihre Eltern. Instinktiv greife ich das Lenkrad fester, als mich mein 18-jähriger Sohn Noah mit einer Liebeserklärung an eine Kirche überrascht: “Die St. Hedwigs-Kathedrale ist mit Abstand die schönste Kirche, die ich kenne, Papa” sagte er von der Rückbank: “Diese schlichte Kuppel, die Symmetrie - genial!” Für einen Moment herrscht Stille in unserem Familienbus, in dem wir zu acht sitzen - allesamt noch ziemlich aufgekratzt von der Wunsch- und Segensfeier, die wir gerade in der St. Hedwigs-Kathedrale erlebt haben: Meine Frau und ich, unsere Kinder Leander (20), Noah (18), Laila (14), Ruben (13) und Nino (4) und dazu noch die Mutter meiner Frau. Wir sind Atheisten, in unserem Leben spielt Kirche keine Rolle. Gotteshäuser besuchen wir höchstens mal im Urlaub. Bretonische Abteikirchen oder Tiroler Kapellen haben wir öfter von innen betrachtet als hiesige Kirchen. Und nun schwärmt unser 18-jähriger von Berliner Sakralarchitektur?
Liebeserklärung an Eltern und Freunde
Vom Beifahrersitz zwinkert mir meine Frau zu. Ihre Augen sind gerötet - vorhin bei der Feier sind ihr gleich mehrmals die Tränen gekommen. Sie ist ein mitfühlender Mensch. Zu Anfang, beim Einzug der 15 Jugendlichen zu Orgelmusik, war noch alles gut. Doch als die Jungen und Mädchen einzeln ans Mikro traten, um Eltern oder Geschwistern zu danken, wusste ich, es würde Tränen geben. Ungefragt reichte ich ihr bald darauf ein Taschentuch, als der Tochter von Freunden bei einer Liebeserklärung an ihre Eltern die
zitternde Stimme versagte. Tränen rannen dann auch, als wir zu unseren Kindern Laila und Ruben nach vorn durften und einander das Beste wünschten.
Für die Teenager war das nicht eben leicht: eine Rede halten, wenn 200 Leute dabei zuhören. Aber vielleicht gerade deshalb ein besonders würdevoller Moment.
Nach drei Segensfeiern ist die St. Hedwigs-Kathedrale wohl wirklich so etwas wie unsere Lieblingskirche. Noah, unser 18-Jähriger, erlebte 2010 noch mit Dompfarrer Kluck den “Werteunterricht für nichtgetaufte vierzehnjährige Jugendliche”. 2014 haben Gemeindereferentin Bettina Birkner und Gemeindemitglied Christoph Schemiczek die Feier mit Laila, Ruben und Co. zelebriert. Sie haben sich viermal mit den Kids getroffen und sie nach ihren Wünschen und Werten befragt. Und nach dem, was jeden ausmacht: “Wer
bist Du?” Einfache Fragen, wichtige Antworten.
Und der Segen?
Im Bus meldet sich meine Schwiegermutter zu Wort: “Mich hat am meisten der Segen beeindruckt”. Dazu war jeder Jugendliche einzeln nach vorn gegangen, hat sich die Hände auflegen lassen und den leisen Worten von Bettina Birkner zugehört: Auge in Auge - Rituale beherrscht die Kirche gut. “Wie genau
lautete denn der Segen?”, will meine Frau von Ruben wissen. Doch unser gesegneter Teenager ist schon längst wieder im Normalzustand: dauergenervt. “Ich habs vergessen”, brummt er und rollt mit den Augen.
Meine Frau blickt zu mir. Wir lächeln. Aber glauben tun wir ihm nicht.
Hintergrundinfos
In der St. Hedwigs-Kathedrale wird seit 11 Jahren die Wunsch- und Segensfeier als Alternative zur Jugendweihe angeboten. In diesem Jahr haben 34 Jugendliche in 2 Feiern (10. und 17.5.) an der Schwelle von der Kindheit zum Erwachsen werden innegehalten. Rund 400 Gäste haben an den beiden 90minütigen Feiern teilgenommen und erlebt wie die Jugendlichen für die Begleitung durch die Kindheit dankten und von ihren Eltern Wünsche für die Zukunft hörten. Am Ende der Feier stand für die Jugendlichen die Wahl zwischen Wunsch und Segen von den Vorbereitenden. Die Wunsch- und Segensfeier wurde bis 2011 von Dompfarrer Msgr. Alfons Kluck angeboten und seit 2012 von Gemeindereferentin Bettina Birkner.