In Angst vor der AbschiebungBerliner Flüchtlinge zwischen Ankunft und Asyl

Berlin (KNA) "Manchmal ist Zorn eine gute Kraft", sagt Pater Ludger Hillebrand. Die Arbeit als Seelsorger beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Berlin macht ihn bisweilen fassungslos.

"Wie kann es sein, dass ein unschuldiger Flüchtling, der grausame Dinge erlebt hat, in Deutschland als erstes ins Gefängnis kommt?", fragt der 51-Jährige. Als besonders schmerzvoll empfindet er es, wenn dabei Familien auseinandergerissen werden.

Doch wie ein Arzt, der mit tränenden Augen nicht operieren kann, konzentriert er sich auf die Dinge, die zu tun sind. Es ist vor soziale Beratung und der "Kampf auf der Rechtsebene". Wo es sinnvoll erscheint, schaltet er einen Anwalt ein: "In zwei Drittel aller Fälle haben wir Erfolg", erklärt der Ordensmann.

Als großes Problem in der Flüchtlingshilfe sieht Hillebrand die vielen Klischees, "die sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt haben". Man müsse ihnen mit Fakten begegnen, erklärt der Jesuit. "So haben 96 Prozent aller Bulgaren in Deutschland eine Arbeit", führt er gegen die Rede von der Armutszuwanderung an.

Aufklärung war auch vonnöten, als im vergangenen Frühjahr im vornehmen Berliner Villenviertel Westend ein Flüchtlingsheim eröffnet wurde. Schnell kam eine Unterschriftenaktion dagegen in Gang. Die Heimleitung lud daraufhin die Nachbarn zu einer Diskussion ein. Mit Blick auf die Flüchtlinge fielen Sätze wie "Die haben doch gar keinen richtigen Krieg" oder "Die greifen doch nur unsere Gelder ab". Da jedoch alle politischen Parteien einhellig hinter der Standortentscheidung des Berliner Senats standen, ebbte die Welle der Feindseligkeit schnell ab. Stattdessen wuchs Hilfsbereitschaft.

Und wie geht es den Flüchtlingen? "Ich rieche die Freiheit", betont der Ägypter Ahmed Fathi (Name geändert). Mit seiner Frau und den drei Kindern hat der 34-jährige Kopte seine Heimat wegen religiöser Repressalien verlassen. Zunächst war seine Familie beim Kirchgang beleidigt, dann ein Sohn von Muslimbrüdern entführt worden. Über Jordanien floh die Familie nach München. Vor allem seine Frau sei sehr glücklich in Berlin, betont der gelernte Schiffsingenieur. Ihn jedoch quält die erzwungene Passivität. Das Anerkennungsverfahren als Asylbewerber kann sich noch über ein Jahr hinziehen. In der Zeit darf er keiner Arbeit nachgehen.

Auch Sahar Baschurak (Name geändert) kennt diese Problematik. Die 27-jährige Frau, die in Afghanistan als Journalistin tätig war, fiebert der Entscheidung der Ausländerbehörde entgegen. Sie ist sich dabei bewusst, dass ihr schlimmstenfalls die Ausweisung droht. "Die Beamten sehen nur die ganz großen Probleme", fürchtet sie.

Gemeinsam mit ihrem Mann und dem sechsjährigen Sohn ist sie vor zehn Monaten nach Pakistan geflohen. Da sie mit westlichen Organisationen zusammengearbeitet hatte, war sie ins Fadenkreuz der Taliban geraten. Die Familie zahlte 30.000 Dollar für die illegale Ausreise nach Deutschland. Doch am Flughafen in Islamabad wurde ihr Mann festgehalten, während sie und ihr Sohn durch Schleuser nach Istanbul kamen.

Wochen verbrachten sie dort unter menschenunwürdigen Bedingungen, bis Mutter und Sohn nach Berlin gelangten. Eigentlich sollten sie in Berlin-Hellersdorf unterkommen. Am Tag vor dem Umzug besuchte sie das im vergangenen Jahr neu eröffnete Flüchtlingsheim, das bundesweit Aufsehen erregte. Sie erlebte, wie Fensterscheiben eingeworfen und ein Hund auf die Kinder gehetzt wurde. "Ein alter Mann hat uns angespuckt", berichtet Sahar. Erst das Heim in Westend wurde zur vorläufigen Heimat.

Inzwischen geht es ihr und ihrem Sohn, der von der Flucht schwer traumatisiert war, besser. "Ich habe auch wunderbare Menschen getroffen", erklärt die Journalistin. Sie bewohnt nun eine kleine Wohnung und spricht gut Deutsch. Doch die drohende Abschiebung hängt wie ein Damoklesschwert über ihr. Auch ist ungewiss, ob die Familie wieder zusammenkommt.

Pater Hillebrand lassen solche Schicksale nicht los. "Deutschland ist ein Einwanderungsland", sagt er, "wir müssen uns Gedanken machen, wie wir das menschenwürdiger gestalten".