Radwege, Notfallhammer und andere KuriositätenFlüchtlinge dokumentieren mit Fotos ihr Leben im deutschen Exil

Berlin (KNA) Acht Männer, acht Kameras und mehrere hundert Fotografien. Das Behandlungszentrum für Folteropfer (bzfo) in Berlin hat über zwei Jahre ein kunsttherapeutisches Projekt mit einer kleinen Patientengruppe durchgeführt - im Mittelpunkt stand das Thema "Leben im Exil". Die acht Teilnehmer sollten ihr neues Leben in Deutschland mit der Digitalkamera festhalten. Am Ende entstand daraus eine Wanderausstellung. Die katholische Kirchengemeinde Sankt Christophorus in Berlin zeigt die Foto-Dokumentation ab diesem Samstag bis zum 13. April.

"Ich habe Dinge fotografiert, die ich aus meiner Heimat Georgien nicht kannte", erzählt Yuri Marojan über seine Bilder. Ob Leute mit interessanten Frisuren, Fahrradwege oder auch Notfallhammer in den Bussen - wenn Marojan mit seiner Familie spazieren ging, kam die Kamera oft zum Einsatz. Die entstandenen Bilder besprach die Therapiegruppe dann zusammen mit der Gestaltungstherapeutin Carolin Tschiesche-Zimmermann und der Sozialarbeiterin Andrea Ahrndt. Nicht nur Unbekanntes nehmen die Teilnehmer auf ihren fotografischen Erkundungstouren durch Berlin auf. Ein Foto von Yuri Marojan, das es in die Ausstellung geschafft hat, zeigt ein Haus, das ihn an seine Heimat erinnert. "In so einem Haus habe ich als Kind gelebt, ich war glücklich", steht darunter.

Marojan und die anderen Fotografen haben eines gemeinsam: das Leben im Exil nach traumatischen Erfahrungen in der Heimat. Deutschland soll für sie nun neue Heimat sein. Das ist nicht immer einfach. Ist es doch keine Entscheidung, die sie freiwillig getroffen haben. "Wie sehe ich das Leben hier, was fällt mir auf", erklärt Sozialarbeiterin Andrea Ahrndt die Botschaft der Ausstellung. Berlin durch die Augen von jemandem anderen sehen. Orte und Menschen, die für Yuri Marojan und die anderen Männer etwas bedeuten. Sie kommen aus dem Kosovo, Irak und Kamerun, leiden alle aufgrund von Verfolgung und Flucht an posttraumatischen Belastungsstörungen. Worte zu finden, sei da oft schwer, berichten die Therapeuten. Doch auf den Auslöser einer Kamera zu drücken und ein Bild erzählen zu lassen, falle leichter.

Pater Kalle Lenz von der katholischen Pfarrgemeinde Sankt Christophorus sieht die Bilder in der Kirche am richtigen Platz: "Es ist uns wichtig, auch inhaltliche Botschaften im Kirchenraum zu haben." Die von der Pallottinischen Gemeinschaft geführte Kirche im sozialen Brennpunkt Neuköllns ist in der Flüchtlingsarbeit aktiv und die einzige katholische Gemeinde in Berlin, die Kirchenasyl bietet. Lenz weiß jedoch, dass auch seine Gemeindemitglieder anfangs skeptisch waren. Der direkte Kontakt mit einem Flüchtling im Kirchenasyl habe dann die Wendung gebracht. "Erst wenn man konkret wahrnimmt, was es bedeutet, Flüchtling zu sein, kann sich die Perspektive ändern", so Lenz. Die Ausstellung könne zu so einem Blickwechsel beitragen.

Yuri Marojan kann sich noch gut an den Auftakt der Wanderausstellung erinnern. Der Berliner Staatssekretär für Arbeit und Integration, Farhad Dilmaghani, eröffnete "Leben im Exil" in Anwesenheit der Fotografen, Politiker und Besucher - für Marojan und die anderen ein unvergessliches Erlebnis. Interesse und Wertschätzung sei ihnen bis dahin in Deutschland selten entgegen gebracht worden, sagt er. Die Besucher jedoch interessierten sich für die Geschichte hinter den Bildern und suchten das Gespräch mit den Fotografen.

"Jedes Foto hat einen Geschmack, eine Einzigartigkeit und eine Geschichte", steht unter einem Selbstporträt. Das Fotoprojekt hat den Männern geholfen, ihre eigene Geschichte zu verarbeiten. Die Ausstellung hingegen soll anderen helfen zu begreifen, was das heißt: "Leben im Exil".