Von pastoralen Hörgeräten und Do-it-yourself-Portraits

Montag abend im Lidl in Binz. Wir sind gerade mit knurrendem Magen in das Aufschnitt-Sortiment im Kühlregal vertieft als es plötzlich neben uns losschreit: „Hallöchen! Sie sind doch die beiden Frauen von der Kirche. Wir haben gestern im Gottesdienst neben Ihnen gesessen. Schön, Sie wiederzusehen!“

Wir teilen die Freude, sind in diesem Augenblick allerdings doch ein wenig überrumpelt. Denn neben dem Ehepaar, welches uns wiedererkannt hat, ruhen sämtliche Augen im Umkreis der Fleischabteilung interessiert auf uns. Also ist uns das Fleisch in dem Moment Wurst und wir bedauern, dass wir nicht ein paar Flyer zur Hand haben, um den unerwarteten Moment der Aufmerksamkeit für eine kleine Werbekampagne nutzen zu können.

Da sind wir tags zuvor im Gottesdienst deutlich besser vorbereitet, denn in jeder Woche stellen sich die diensthabenden Seelsorger am Ende der Messe vor, machen das Tourismusprojekt bekannt und verteilen beim Verlassen der Kirche kleine Give aways – an diesem Sonntag kleine Ohrstöpsel, quasi als besonderes Hörgerät, welches gerade nicht die Außengeräusche verstärken will, sondern die Urlauber dazu einlädt, mal in sich selbst reinzuhorchen. Auf den eigenen Herzschlag, die eigenen Bedürfnisse zu lauschen. Ganz im Sinne von Karl Valentin’s Ausspruch: „Heute besuche ich mich. Hoffentlich bin ich zu Hause.“

Die kleinen akustischen Hilfsmittel finden dann auch reißenden Absatz: „Die steck ich mir jetzt immer rein, wenn meine Frau schreit“, meint ein Mittsechziger mit breitem Grinsen im Gesicht. Und ein zweiter Urlauber mit einem Augenzwinkern: „Na, dann will ich doch mal hören, was so in mir los ist“, während ein dritter nachdenklich bemerkt: „Der Spruch von Karl Valentin ist echt klasse. Ich glaube, ich bin momentan fast nie bei mir zu Hause!“

Kirche in Aktion mit Talent gestaltet

Nicht „zu Hause“, an der Kirche, sondern ganz bewusst „ins Getümmel“ stürzen wir uns zwei Mal wöchentlich. Dann nämlich findet das Format „Kirche in Aktion“ statt, welches jeder Seelsorger nach eigenen Talenten gestalten kann. So gibt es in der einen Woche franziskanische Impulse mit abschließender Vesper, in der anderen Woche Meditation und Entspannungsübungen oder in unserem Fall kleine Aktionen in der Fußgängerzone: Zum einen eine Tafel mit dem Impuls „Was ich schon immer mal tun wollte – Notieren Sie Ihre Wünsche und Träume“ und zum anderen die Einladung, mithilfe eines großen goldenen Bilderrahmens den eigenen Urlaub ins rechte Licht zu rücken und ein Selfie von sich und seinen Lieben zu machen. „Schöne Idee, aber ich kann gerade gar nix auf die Tafel schreiben. Ich bin wunschlos glücklich – is‘ doch schließlich Urlaub“, meint ein vorbeischlendernder Passant. 

Pragmatischer geht ein 10-jähriges Mädchen vor. „Longboard“ schreibt und malt sie auf die Tafel und überprüft mit einem verstohlenen Seitenblick, ob ihre Mutter die Botschaft verstanden hat. Die pariert dann auch prompt: „Hast ja in drei Wochen Geburtstag. Wir knipsen das jetzt mal und zeigen das Foto dann der Oma, ja?“

Zum eifrigen Foto schießen lädt auch der Bilderrahmen ein

Während eine norwegische Familie noch zaghaft nachfragt, wie teuer das denn sei, quetscht sich schon ein 12-köpfiger Freundeskreis zusammen, um ihre gute Urlaubslaune festzuhalten, ohne den Rahmen zu sprengen. Eine andere Urlauberin umkreist den Bilderrahmen mehrfach wie ein erlegtes Beutetier, um dann sogleich ihren Mann in die Pflicht zu nehmen: „Thorsten, kannst du mir zu Hause nicht auch so einen Rahmen basteln? Der ist einfach aus Bauschaum und sieht trotzdem geil aus.“ Was bei Thorsten eher auf Ent- als auf Begeisterung stößt, wie er in sein Eis reingrummelnd und missmutig weiterstapfend zum Ausdruck bringt.

Schade, dass er am Sonntag nicht im Gottesdienst war. Die Ohrstöpsel hätte er gut brauchen können.