„Wohin bringt ihr uns?“
Überliefert ist die Frage von einem Mann, der sich wie rund 70.000 andere nicht vorstellen konnte, dass er auf eine Reise in den Tod geschickt wurde.
Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen wurden vor 80 Jahren zum Teil mit Unterstützung von Pflegekräften, Ärzten und Angehörigen als „unwertes Leben“ abgetan. Die nationalsozialistische Ideologie war vermessen genug, den Wert menschlichen Lebens zu beurteilen und davon das Recht auf Leben abhängig zu machen.
„Wohin bringt ihr uns?“ Vermutlich gab es keine ehrliche Antwort beim Einsteigen in die Busse der „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH“. Nach der für die Tötungen zuständigen Zentraldienststelle T4, was für Tiergartenstraße 4 steht, wurde die Aktion benannt. Dort – direkt neben der Berliner Philharmonie – erinnert ein Gedenk- und Informationsort an die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde, und genau dort werden wir uns morgen, Freitag, 30. August, ab 15.15 Uhr versammeln.
„Wohin bringt ihr uns?“ Mein Glaube sagt mir: Der Mensch, der ängstlich fragt, was wir mit ihm vorhaben, ist auch mein Nächster. Das Denkmal erinnert daran, was Jesus uns heute sagen würde: Keine Mauer, kein Zaun und keine Scheibe darf zwischen dem Menschen in Todesangst und mir stehen. Die Aufgabe, seine Frage zu beantworten, kann ich nicht einfach an andere weiterleiten. Die Verantwortung, Anwältin und Anwalt von Menschen in Not zu sein, ist eine gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung. Niemand darf sich ihr entziehen.
Wenn wir uns morgen im Gedenken an die Opfer versammeln, dann in einer Überzeugung, die ich mit Christinnen und Christen und mit vielen Anders- oder Nicht-Gläubigen teile: Wir dürfen uns nicht darauf einlassen, den Wert menschlichen Lebens zu bewerten und zu verrechnen.
P. Manfred Kollig SSCC
Generalvikar