Aufbrechen statt Löcher stopfen

Auch die Jugendarbeit der geistlichen Gemeinschaften soll die Perspektiventwicklung mit in den Blick nehmen. Im Bild: Eine Veranstaltung der „Schulen des Friedens“ der Gemeinschaft Sant Egidio. Foto: sant Egidio

Das Erzbistum plant eine Neuausrichtung der Jugendseelsorge. Unter Federführung von Sophia Wagner (29) sollen Strukturen geschaffen werden, die den veränderten Bedürfnissen junger Menschen gerecht werden.

Schon vor Corona hat sich einiges gewandelt in der Jugendseelsorge des Erzbistums: Die Zahl katholischer Jugendgruppen ist ebenso wie die Teilnehmerzahl bei bistumsweiten Veranstaltungen gesunken. In einer wachsenden Zahl von Pfarreien fehlen verlässliche Ansprechpartner für Jugendliche.

In der Zeit der Pandemie haben sich manche Entwicklungen noch verstärkt: Es gibt – nicht nur für die Jugend – weniger Präsenz-Veranstaltungen und eine schwindende Bereitschaft, sich langfristig für eine Aktivität zu entscheiden. Eine Reihe von Stellen in der Jugendpastoral ist unterdessen vakant, Strukturen sind bis auf weiteres außer Funktion. So gibt es seit einem Jahr keinen Diözesanjugendpfarrer mehr, die Jugendkirche Sam ruht derzeit, die Jugendseelsorgekonferenz und das Netzwerk Junge Kirche wurden aufgelöst.

Uta Raabe, die Bereichsleiterin Pastoral im Erzbistum, sieht die aktuelle Krise als Chance, die Jugendpastoral in einem Perspektiventwicklungsprozess neu aufzustellen. „Das scheint uns sinnvoller als einfach die entstandenen Löcher zu stopfen. Wir möchten etwas grundlegend Neues entwickeln und dabei viele Akteure der Jugendpastoral und auch die Jugendlichen selbst mit einbeziehen“, ist ihr wichtig.

Es geht ihr darum, Angebote zu schaffen, die aufgreifen, was junge Christen heute umtreibt. Der Blick soll über die Arbeit der Jugendverbände und der klassischen Gemeindestrukturen hinausreichen.„ Viele Orte, an denen sich Jugendliche sammeln, haben wir bisher noch kaum wahrgenommen“, sagt sie.

Als Beispiele nennt sie die „Young Caritas“, die soziales Engagement junger Menschen fördert und die 72-Stunden-Aktion des Bundes Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ): „Das ist tolle Jugendpastoral in einem weiten Sinne. Jugendliche erleben dort, dass sie gemeinsam etwas bewirken können und werden auch mit der Frage konfrontiert, wer Jesus für sie ist“, meint Uta Raabe. Auch die „Schulen des Friedens“ der Gemeinschaft Sant Egidio sieht sie als gelungenes Beispiel für eine Jugendpastoral, die von den Nöten junger Menschen ausgeht.

Sie gehe zudem davon aus, dass es Jugendgruppen gebe, die bisher nicht auf dem Schirm der Verantwortlichen für Jugendpastoral im Erzbistum seien, weil sie nicht an einer bistumsweiten Vernetzung interessiert seien, sondern eher regionale Partner suchten, etwa Jugendgruppen der evangelischen Kirche oder die Jugendfeuerwehr ihres Ortes.

„Ich konnte mich in der Kirche entfalten“

Wegen ihrer guten bistumsweiten Vernetzung hält sie Sophia Wagner für die Aufgabe der Projektleiterin der Perspektiventwicklung gut geeignet. Sie habe sowohl in der Dekanatsjugend als auch in der Jugendverbandsarbeit Erfahrung. „Mich haben insbesondere die Gemeinschaftserfahrungen meiner eigenen Jugend geprägt, von Lagerfeuer und Herbstfahrten bis hin zu Aktionen, bei denen wir gemeinsam etwas bewirken konnten. Das war oft anstrengend, aber es hat mich erfüllt, anderen Menschen Freude zu bereiten“, sagt die 29-Jährige, die in Berlin-Spandau aufgewachsen ist und sechs Jahre lang ehrenamtliche Vorsitzende im BDKJ war. Sie empfindet es als reizvoll, einen Neuanfang mitzugestalten. „Ich selbst konnte mich als junge Christin in der Kirche entfalten. Etwas davon möchte ich jetzt zurückgeben“, sagt sie über ihre Motivation.

Seit dem 1. Dezember ist Sophia Wagner beim Erzbistum angestellt. Ihre Aufgabe wird es zunächst sein, ein Team zusammenzustellen und das Vorgehen für die Perspektiventwicklung zu planen. Bis zum Ende kommenden Jahres soll der Bedarf der Jugendpastoral im Erzbistum ermittelt, eine Strategie entwickelt und mit der Umsetzung begonnen werden. Dass die Zeit drängt und die Gefahr steigt, dass die Kirche eine Generation von Jugendlichen verliert, ist den Beteiligten dabei bewusst.

Der gesamte Prozess wird mit dem Erzbischof und dem Generalvikar abgestimmt und soll keinesfalls „in Stein gemeißelt“ werden. „Uns allen ist klar, wie schnelllebig gerade die Entwicklungen in der Jugend sind“, betont Uta Raabe. Es sei offensichtlich, dass man in der Jugendpastoral nicht auf Jahrzehnte hin planen könne und dass es immer wieder Anpassungen an die veränderte Realität geben müsse.

Welche Strukturen es in einem Jahr in der Jugendpastoral geben werde, sei derzeit noch offen, stellte die Bereichsleiterin Pastoral klar. Festgelegt habe man allerdings, dass es weiterhin in den Pfarreien keine ausgewiesenen Stellen für Jugendpastoral geben soll. So sieht es der Einsatzplan Pastoral vor, der vor acht Jahren in Kraft gesetzt wurde. Die Idee dahinter sei, dass die pastoralen Mitarbeiter einer Pfarrei oder eines pastoralen Raums flexibel planen können, wer Verantwortung für welche Aufgabe übernimmt. Wenn jemand Neues ins Team kommt, soll das pastorale Team vor Ort frei entscheiden können, wie die Begabungen und Stärken jedes Einzelnen am Besten zur Geltung kommen.

Die Beweglichkeit der Struktur möchte Uta Raabe erhalten, auch wenn sie sich aus Sicht der Jugendpastoral bisher noch nicht überall bewährt habe. Dass es vielerorts keine verlässlichen Ansprechpartner für die Jugendlichen gebe, habe auch mit der hohen Altersstruktur des pastoralen Personals zu tun. Hauptamtliche müssten aber nicht unbedingt selbst die Akteure der Jugendarbeit sein, ist sie überzeugt. Oft sei es besser, dass sie Akteure zusammenbringen und ihnen die notwendige Unterstützung geben.

„Auf einer Linie mit einer Petition des BDKJ“

Bis auf die Frage der ausgewiesenen Jugendpastoral-Stellen sieht Uta Raabe eine große Übereinstimmung ihrer eigenen Vorstellungen mit den Forderungen, die der BDKJ im Frühjahr in einer Petition an Erzbischof Heiner Koch gerichtet hatte.

Die Unterzeichner hatten ein deutliches Bekenntnis der Bistumsleitung zur Jugendpastoral gefordert. Die Jugendlichen bräuchten „vielfältige Räume innerhalb ihrer Pfarrei“ für „individuelle Zugänge zu ihrem Glauben“ und eine „kritische Auseinandersetzung mit Glaubenserfahrungen“, hieß es in der Petition unter anderem. Die BDKJ-Vertreter mahnten Stellennachbesetzungen an und mehr Fachbegleitung für Hauptberufliche in der Kinder- und Jugendpastoral der Pfarreien. Junge Menschen sollten in die Perspektiventwicklung einbezogen werden.

In einem Gespräch mit BDKJ- Verantwortlichen hatte Erzbischof Koch im Juni bekräftigt, dass er die Grundanliegen der Jugendvertreter teilt.