Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) muss aus Skandalen lernen und sich zugleich im Programmangebot auf mehr Vielfalt in der Gesellschaft und auf neue Nutzergewohnheiten einstellen. Linda Kanellos-Okur (35) vertritt die katholische Kirche neuerdings im rbb-Rundfunkrat. Was kann sie beitragen?
Zuletzt hatte ein Ruheständler den ehrenamtlichen Gremienposten inne, den Sie Anfang März übernommen haben. Sie stehen mitten in Berufs- und Familienverantwortung. Wie sind Sie zu dieser Aufgabe gekommen?
Laut rbb-Satzung müssen die Organisationen abwechselnd einen Mann und eine Frau entsenden. Dieses Mal durfte die Katholische Kirche beziehungsweise das Erzbistum Berlin eine weibliche Person für den Rundfunkrat benennen. Zweifellos gab es mehrere gut qualifizierte Frauen im Erzbistum, die für diesen Posten infrage gekommen wären. Umso mehr freue ich mich darüber, dass ich als 35-Jährige das Erzbistum Berlin vertreten darf und damit das jüngste Mitglied im Rundfunkrat bin. Der Rundfunkrat ist neben dem Verwaltungsrat ein Kontrollorgan des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Berlin-Brandenburg. Er überwacht die Einhaltung des im rbb-Staatsvertrag festgelegten Auftrags und berät die Intendantin. Das können wir nur dann gut leisten, wenn die Mitglieder einen breiten Querschnitt der Bevölkerung repräsentieren. Allein schon die Organisationen, die Vertreter in den Rat entsenden dürfen, bilden die ganze Bandbreite der Gesellschaft ab, vom Landessportbund über die Abgeordnetenkammern, Industrie- und Handelskammer und Gewerkschaften bis eben hin zu den Kirchen. Da sollten nach Möglichkeit auch alle Altersgruppen vertreten sein.
Was wollen, was können Sie bewirken als Vertreterin der katholischen Kirche im Rundfunkrat?
Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Lobbyarbeit für die katholische Kirche zu betreiben. Der Erzbischof hat mir ausdrücklich bestätigt, dass er das auch gar nicht von mir erwartet. Ich bin nicht nur das Sprachrohr für rund 400 000 Katholiken; ich versuche, allen Menschen eine Stimme zu geben, für die wir als Kirche da sein wollen und für die Kirche steht, zum Beispiel denjenigen, die unsere Migrationsdienste, Suchtberatungs- oder Schwangerschaftsberatungsstellen aufsuchen und denen, die unsere Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten nutzen. Ich suche das Gespräch mit Menschen, die dort arbeiten.
„Ich erlebe, dass die Arbeit der Kirchen sehr geschätzt wird.“
LINDA KANELLOS-OKUR
Mir ist es wichtig, dass der rbb für alle Bevölkerungsgruppen etwas anbietet und damit auch zum Zusammenhalt der Gesellschaft beiträgt, für Menschen aus Berlin und Brandenburg, auch zum Beispiel für die Polen, die zurzeit den größten Anteil am Zuzug nach Brandenburg haben.
Die Kirchen sind mit je einem evangelischen und einem katholischen Vertreter vergleichsweise stark repräsentiert. Die Mitgliedszahlen beider Kirchen sinken hingegen. Gibt es Kräfte, die eine so starke Vertretung der Kirchen in Frage stellen?
Ich erlebe, dass die Arbeit der Kirchen sehr geschätzt wird. Kaum eine Organisation hat zu so vielen unterschiedlichen Menschen Kontakt. Damit können wir ein Feedback geben, das für die Programmgestaltung wertvoll ist. Viele Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft steht, wirken sich ja auch auf uns als Kirche aus – etwa die Entvölkerung weiter Landstriche, je weiter man sich vom Berliner Speckgürtel entfernt. Angesichts des hohen Anteils von Christen aus aller Welt setzen wir einen Fokus auf kulturelle Vielfalt. Wir kennen Probleme wie die Armut in den Familien aus der Nähe. Diese Vielfalt sollte sich im Bereich der Informationen, aber natürlich auch im Unterhaltungsprogramm widerspiegeln.
Wie darf man sich die aktuelle Arbeit im Rundfunkrat vorstellen? Geht es eher darum, die Vergangenheit aufzuklären oder eher darum, den Sender zukunftsfähig zu machen?
Im Moment sind wir stark damit beschäftigt, den Finger in die Wunden zu legen und aufzuarbeiten, was passiert ist. Aber natürlich dürfen wir nicht bei einer Rückschau stehen bleiben, sondern müssen uns um ein zukunftsfähiges Gesamtkonzept des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kümmern. Ich selbst gehöre als berufstätige Mutter zum Beispiel zu denen, die kein lineares Fernsehen mehr gucken, weil es nicht in meine Zeitplanung passt. Ich informiere mich wie viele in meiner Generation vor allem durch Podcasts, morgens beim Zähneputzen, in der Bahn oder in Pausen nebenbei. Fernsehen nehme ich über die Mediathek wahr. Auf die Podcasts richte ich auch im Programmausschuss des Rundfunkrats den Fokus. Das bedeutet, dass ich alle Podcasts verfolge, die der rbb im Programm hat. Das Programm wird in den nächsten Jahren einen kontinuierlichen Veränderungsprozess durchlaufen.
Wohin sollte die Veränderung gehen?
Wir müssen uns fragen, was wir wirklich brauchen, was wir möchten und worauf wir verzichten können. Bei den Entscheidungen spielt auch die Notwendigkeit zu sparen eine große Rolle. Stärken sollten wir meiner Ansicht nach die lokalen Diskussionsformate. Wenn wir als Gesellschaft zusammenbleiben wollen, müssen wir verstärkt Menschen in Austausch bringen, die sonst eher nicht miteinander sprechen. Unterschiedliche Meinungen zu brisanten Themen wie Energiearmut oder Aufnahme von Flüchtlingen zu Wort kommen zu lassen, hilft dabei, sich eine eigene Meinung zu bilden und die Pluralität der Gesellschaft wahrzunehmen. Beim rbb gibt es dafür auch bereits Formate, zum Beispiel die Sendung „Wir müssen reden“. Dort werden auch Passanten beteiligt, die zufällig vorbeigehen. Als Kirche sollten wir uns da einbringen. Wir haben ja Erfahrung mit unterschiedlichsten Gesprächsformaten. Ich erinnere nur an den klassischen Kaffeeklatsch nach der heiligen Messe. Da treffen in der Regel Leute verschiedener Generationen und Milieus aufeinander.
Und wo sehen Sie Einsparpotenzial?
Dazu traue ich mir, nachdem ich erst zwei Rundfunkratssitzungen miterlebt habe, noch keine Einschätzung zu geben. Grundsätzlich würde ich sagen, dass es besser ist, sich von Gebäuden zu trennen als von Menschen.
Haben Sie aufgrund der Einblicke, die Sie bisher gewinnen konnten, den Eindruck, dass die öffentlichen Vorwürfe an die bisherige rbb-Führung gerechtfertigt sind oder denken Sie, dass da einiges aufgebauscht wurde?
Wie so häufig, liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Die Leitung hat zweifellos unzureichend informiert. Man muss sicher auch sagen, dass der Verwaltungs- und der Rundfunkrat ihre Fragerechte nur unzureichend wahrgenommen haben. Es ist die Aufgabe von Journalisten, das Vorgefallene kritisch zu hinterfragen. Über die Art und Weise, in der das manchmal geschieht, kann man natürlich streiten. Was ich nach den ersten beiden Sitzungen schon sagen kann, ist, dass ein Wind der Veränderung durch die Gremien gegangen ist. Niemand hat Scheu, Fragen zu stellen. Die neuen Mitglieder hinterfragen durchaus auch die bisherigen Abläufe, zum Beispiel die Abstimmungsverfahren, und ich erlebe bisher, dass alles offen beantwortet wird.