Es kommt darauf an, da zu sein

Am Berliner Flughafen kümmert sich ein christliches Seelsorgeteam um große Krisen und kleine Dramen. Es spendet Trost, berät gestrandete Reisende, segnet Pilger, schlichtet Streit. Oder hört einfach nur zu.

Genau 50 Jahre ist es her, dass der Pallottinerpater Walter Maader von seinem Bischof beauftragt wurde, in Frankfurt am Main die erste deutsche Flughafenseelsorge aufzubauen. In seinem Buch „Höhenflüge und Bruchlandungen“ schrieb er: „Flughafenseelsorger heißt Pfarrer sein ohne Netz und doppelten Boden. Es gibt keine Gemeinde, keine festen Gruppen, die einen kennen und erwartungsvoll begrüßen.“ Und anders als viele denken, werden Flughafenseelsorger längst nicht nur bei Katastrophen wie Flugzeugabstürzen angefragt, sondern sind tagein, tagaus für die Reisenden im Einsatz. Inzwischen gibt es an zehn deutschen Flughäfen ökumenische Seelsorgeteams. Seit gut einem Jahr auch am neuen Berliner Flughafen, dem BER.

„Unser Anspruch ist es, Kirche in der Welt zu sein“, sagt die evangelische Pfarrerin Sabine Röhm. Während in den Kirchen die Menschen „zu uns kommen, gehen wir auf dem Flughafen aktiv auf sie zu“. Röhms katholischer Kollege, der Jesuitenpater Wolfgang Felber, sagt: „Mir ist es wichtig, die Menschen willkommen in meiner Stadt zu heißen, Ihnen ein schönes menschliches Bild von Berlin und Brandenburg sowie der Kirche hier zu präsentieren.“ Unterstützt werden die beiden von 30 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, von der Krankenschwester in Rente bis zum pensionierten Piloten.

Felber beschreibt Flughäfen als „modernes Stadttor“. Am BER arbeiten 35 000 Menschen. Bis zu 35 Millionen Passagiere werden pro Jahr erwartet. Es wird gelebt, gestorben und gelitten. „Hier gibt es alles, von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt“, sagt Röhm. So seien die Seelsorger jüngst zu einem Menschen gerufen worden, der im Flugzeug einen tödlichen Herzanfall erlitten hatte. „In unserem Team wissen alle, wie man einen Menschen aussegnet, der im Sterben liegt oder bereits gestorben ist“, sagt die Geistliche.

Hilfe für einen aufgeregten Briten

Zu den Aufgaben der Seelsorgenden gehört es, bei Unglücken die Angehörigen zu verständigen und ihnen in den ersten Minuten der Todesnachricht zur Seite zu stehen. Sie spenden Trost, beraten gestrandete Reisende, vermitteln Hilfe, beten für ängstliche Passagiere, segnen abreisende Pilger, schlichten Streit. „Auf mich ist neulich ein aufgeregter Brite zugekommen, dem hatte man alles gestohlen. Geld, Tickets, Handy. Dem Herrn haben wir zunächst etwas zu Essen und Trinken angeboten und von unserem Schalter aus telefonieren lassen. Seine Frau hat ihm dann Geld überwiesen“, sagt Röhm.

In anderen Fällen werden die Seelsorger von Auslandsrückkehrern aufgesucht. Zum Beispiel, wenn im Ausland eine Ehe in die Brüche gegangen ist. „Manche dieser Rückkehrer sind mittellos und haben in Deutschland keine Wohnung mehr und wollen nun wissen, an welches Amt sie sich wenden müssen“, erläutert Felber. Um auch in komplexen Fällen zu helfen, arbeiten die Seelsorger eng mit dem Flughafensozialdienst zusammen.

Rührende Geschichten im Gästebuch

Vom Flughafenpersonal werden die Seelsorger gern gerufen, um Streit mit Passagieren zu schlichten. Zudem leisten Felber und Röhm am BER „eine Art der Betriebsseelsorge. Dieser Aspekt unserer Arbeit ist mir wichtig. Denn anders als bei den einmaligen Begegnungen mit den Reisenden können zu den Angestellten längere Beziehungen entstehen“, sagt Felber. Auch spielten hier religiöse Anliegen wie die Taufe des Kindes oder die Beerdigung der Eltern eine größere Rolle als im Umgang mit den Reisenden, ergänzt Röhm.

An zehn deutschen Flughäfen gibt es religiöse Andachts- oder Rückzugsräume, die im Kontrast zur sonstigen Betriebsamkeit stehen. Hierhin werden keine Durchsagen durchgestellt. Viele Kapellen haben zwar einen christlichen Charakter, doch stehen sie allen Menschen offen. „Viele kommen, um einfach mal zu gucken. Andere beten oder schreiben rührende Geschichten in unser Gästebuch, bitten um Beistand, formulieren ihre Ängste. Auch Muslime breiten hier gerne mal ihre Gebetsteppiche aus“, sagt Röhm. „Wir gehen als Christen auf die Menschen zu, aber wollen niemanden missionieren“, sagt Felber.

Vor allem in Krisenzeiten haben die Seelsorger alle Hände voll zu tun: etwa nach der Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen 1996 oder nach dem Tsunami 2004 in Südostasien, bei dem auch viele deutsche Urlauber starben. „In solchen Fällen geht es nicht so sehr darum, etwas zu sagen. Es kommt vielmehr darauf an, da zu sein“, sagt Röhm.

Mit ihren lila Westen signalisieren die Seelsorger: Ich bin ansprechbar. Dieses Signal wirkt. Felber erinnert sich an eine alte Dame, die in Tegel fast jeden Tag zum Flughafen gekommen ist. „Sie hat es genossen, dort unter den Menschen zu sein“, sagt er. „Als sie mal auf einer Bank saß, habe ich mich neben sie gesetzt. Wir kamen ins Gespräch. Sie war eine sehr freundliche Person. Im Laufe der Zeit war sie beim gesamten Flughafenpersonal bekannt, von der Polizei bis hin zum Putzpersonal. Und irgendwie haben ihr alle beigestanden. Die menschliche Wärme, die ihr fehlte, die hat sie bei uns gefunden.“