Frauen brauchen Halt und Hilfe

Hannah Eckardt leitet Evas Haltestelle. Foto: Thaddeus Herrmann

Der Sozialdienst Katholischer Frauen ist in der Berliner Innenstadt seit über 20 Jahren für Frauen, die arm, hilflos oder obdachlos sind, da. In Evas Haltestelle werden sie von Hannah Eckardt und ihren Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes so wahrgenommen und akzeptiert wie sie eben sind.

Frau Eckardt, Sie als Sozialarbeiterin leiten Evas Haltestelle. In einer Haltestelle warten Menschen auf unterschiedliche Dinge. Worauf warten die Frauen, die hierher kommen?

Auf Hilfe natürlich und die bekommen sie ja auch auf unterschiedliche Weise. Ich versuche zusammen mit meinem Team so viel Unterstützung und Hilfe zu geben wie möglich. Leider müssen die Frauen oft ziemlich lange auf eine wirkliche Hilfe warten, weil wir hier mit unseren Kapazitäten natürlich auch begrenzt sind. Aber das verstehen die Besucherinnen.

Mit welchen Problemen kommen die Frauen denn in diese Haltestelle? Was erwarten sie?

Wenn sie kommen, sind sie in einer Krisensituation. Wir bieten ihnen erst einmal einen Platz an, um zur Ruhe zu kommen. Das finde ich auch gerade in der Kennlernphase total wichtig. Die Frauen müssen das Gefühl bekommen, hier bei uns gut aufgehoben, angenommen zu sein. Sie müssen sich wohlfühlen, um die nächsten Schritte gehen zu können. Die Frauen sollen das Gefühl haben, dass ihnen in Evas Haltestelle geholfen wird, wenn sie das wollen. Klar, dass manche von ihnen sich anfangs auch schämen, über ihr Leben, das völlig aus den Fugen geraten ist, zu reden. Dazu lassen wir ihnen Zeit. Wir drängen den Frauen unsere Hilfe nicht auf. Wir machen klar: Wenn du etwas ändern willst, bekommst du unsere Hilfe. Wenn die Frauen keine Unterstützung wollen, steht ihnen unsere Tür trotzdem offen. Sie sind immer herzlich willkommen.

Also egal ob eine Frau obdachlos ist, auf der Straße lebt, arm ist, vielleicht Schulden hat oder einfach die Begegnung mit anderen sucht?

Ja, genau so ist es, niemand muss sich outen. Das würde für viele Frauen eine sehr große Hürde darstellen, überhaupt zu kommen. Wir versuchen, es ihnen leichter zu machen, indem wir sie auch beschäftigen – beim Kochen zum Beispiel. Wir haben viele Frauen, die bei uns ehrenamtlich arbeiten und unseren Besucherinnen anbieten, sich zu beteiligen, damit der Tagesablauf besser klappt. Wir haben jetzt zum Beispiel eine Gruppe, die im Garten ein Hochbeet baut. Andere backen zusammen, hören Musik, lesen, tanzen auch. Das alles hilft den Frauen, sich hier wohlzufühlen und ein bisschen Normalität zu erleben.

Sie sagen, dass die Besucherinnenstruktur sehr unterschiedlich ist. Welche Probleme, die sie haben, dominieren denn?

Die meisten Frauen, die Hilfe suchen, sind von Wohnungsnot betroffen – viele sind obdachlos. Sie leben auf der Straße oder wandern von einer Notunterkunft zur nächsten. Manche leben schon lange in Wohnheimen. Andere haben noch eine Wohnung, die aber nicht mehr bewohnbar ist, wo es Mietschulden gibt, Räumungsklagen. Wir haben ein spezielles Beratungsangebot gerade für Frauen, denen aufgrund von Mietschulden der Verlust der Wohnung droht. Ich versuche dann, die Frauen entsprechend zu informieren und begleite sie auch zu den zuständigen Ämtern, um – gerade jetzt in Coronazeiten – den Verlust der Wohnung zu verhindern. Wir gehen diese Wege zusammen, aber die Erfolge sind natürlich auch begrenzt.

Ich kenne Frauen, die seit vielen Jahren auf der Straße leben und sich dort irgendwie eingerichtet haben. Sie sagen: Für uns gibt’s ja doch keine Hilfe, also sammeln wir weiter Flaschen.

Dass es keine Hilfe gibt, stimmt überhaupt nicht. Aber ich verstehe meine Arbeit als Sozialarbeiterin auch so, dass ich es den Frauen überlasse, welche Hilfe sie wollen oder ob sie auch gar keine möchten. Unser Hilfesystem ist sehr unübersichtlich. Deshalb ist es mir wichtig, dass die Frauen sich erst mal einen Überblick verschaffen können. In Evas Haltestelle können sie das. Ich fühle mich als Vermittlerin. Wir treffen auch die Frauen auf der Straße, wir gehen an die Orte in Berlin , wo sie sich aufhalten und laden sie ein, uns hier zu besuchen.

Was erzählen die Frauen, die Sie auf der Straße treffen von ihrem obdachlosen Leben?

Da spielen Gewalterfahrungen eine große Rolle. Die Frauen fühlen sich nicht sicher: weder auf der Straße, noch in gemischt-geschlechtlichen Not-Einrichtungen. Sie berichten von der täglichen Angst, wo sie die kommende Nacht schlafen können. Es gibt ja auch viel zu wenige Unterkünfte für Frauen. Ich erlebe eine unglaubliche Perspektivlosigkeit bei den meisten obdachlosen Frauen. Finanzielle Belastungen führen zur Wohnungslosigkeit, oft fehlt eine Krankenversicherung. All das belastet die Frauen.

In Evas Haltestelle kommen nicht nur deutsche Frauen. Das Hilfeangebot richtet sich auch an andere Kulturen.

Ja natürlich, wir begegnen hier Frauen, die nach Berlin kamen, um hier arbeiten zu können. Oft klappt das nicht und die Frauen leben dann auch auf der Straße, ohne Perspektive. Sie kennen sich nicht aus und geraten in von Gewalt geprägte Beziehungen, an dubiose Arbeitgeber. Irgendwann kommen sie zu uns. Manche nur, um zu duschen, etwas zu essen oder ein bisschen auf einem der Sofas hier zu schlafen. Ich spreche sie an und biete Hilfe an.

Frau Eckardt, es geht auf Weihnachten zu. Welche Rolle spielt dieses Fest in Evas Haltestelle?

Eine große Rolle. Wir wollen Weihnachten auch in Coronazeiten nicht ausfallen lassen. Natürlich sind wir – was kleine Geschenke angeht – auf Spenden angewiesen: Hygieneartikel, Kleidung oder ein warmer Schal. Aber mir ist auch die Vorbereitung auf das Fest wichtig. Wir backen Kuchen und Kekse und viele Frauen machen da gern mit. Das ist für sie ein Stück Normalität. Es gibt jedes Jahr ein Weihnachtsessen. Wir haben auch direkt am Heiligen Abend geöffnet, so dass die Frauen dann nicht allein, vielleicht einsam irgendwo diesen Abend verbringen müssen. Das alles klappt mit der Hilfe von Frauen, die ehrenamtlich helfen. Ganz wichtig ist es für mich und das ganze Team, die Frauen in dieser Zeit nicht alleine zu lassen. Also denke ich, dass sich die Frauen schon jetzt auf die Weihnachtszeit freuen.