Früh übt sich!

Leo hat seine Wahl getroffen. Die Aula der St.-Hildegard-Schule diente bei der Juniorwahl als Wahllokal. Foto: Stefan Schilde

Bei der Juniorwahl 2021 lernen und erfahren Schüler, wie man eigentlich wählt. Auch die Katholische Schule St. Hildegard in Berlin-Marienfelde, eine Schule für Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf, hat mitgemacht.

Ziemlich abgeklärt, zumindest ohne erkennbare Aufregung, betreten die Jungen und Mädchen die Wahlkabine, setzen ihre Kreuze und werfen ihren Stimmzettel anschließend in die Wahlurne. Lange Schlangen oder Pannen wie am Wahlwochenende in vielen Berliner Wahllokalen? Fehlanzeige, alles geht ordentlich über die Bühne. Mittags um halb eins ist es vollbracht. Die Klassen sieben bis zehn der Katholischen Schule St. Hildegard Berlin, Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 16 Jahren, haben an der Wahl für den Bundestag und das Berliner Abgeordnetenhaus teilgenommen...

Mehr Gesprächskultur als im Fernsehen

... stimmt natürlich nicht ganz, denn bei der Juniorwahl, einem Projekt zur politischen Bildung, wird der Wahlakt nur simuliert. Minderjährige ab 16 dürfen in Berlin und den meisten anderen Bundesländern nur auf kommunaler Ebene wählen. Zur Vorbereitung auf das Ereignis wurde die Woche noch einmal zur Vertiefung genutzt. Wie ist die Demokratie in Deutschland aufgebaut ist. Welche Parteien gibt es? Wozu die Gewaltenteilung? Welche Aufgaben haben die diversen Organe? Wie sieht so ein Stimmzettel aus? Auch über politische Themen wurde gesprochen. Viele Schüler finden Klimaschutz und Bildungspolitik wichtig.

Am letzten Tag vor der Wahl zeigt Lehrerin Marie-Theres Büdenbender ihrer neunten Klasse an der digitalen Tafel eine Karikatur über den hohen Nichtwähleranteil – allgemeines Staunen im Klassenzimmer. In einem Text erfährt man, warum viele Menschen nicht (mehr) zur Wahl gehen: Misstrauen, Enttäuschung, Resignation. Es entwickelt sich eine angeregte Diskussion. „Gerade wenn man unzufrieden ist, sollte man Wählen gehen“, meint Liza, „sonst ändert sich doch erst recht nichts.“ Irgendwann wirft die Lehrerin die Frage in den Raum, ob das (freiwillige) Wahlrecht nicht lieber durch eine Wahlpflicht ersetzt werden sollte. Die Schüler finden Argumente, die durchaus dafür sprechen könnten. Womöglich beschäftigen sich dann ja mehr Leute mit Politik? „Man sollte trotzdem nicht gezwungen werden“, findet Jonas – und erhält schließlich allgemeine Zustimmung. Auffällig: Des anderen Meinung wird respektiert, man lässt einander ausreden – durchaus keine Selbstverständlichkeiten in zahlreichen Politiker-Talkrunden dieser Tage im Fernsehen.

Trotz Handicap: zum Mitmachen ermutigen

Im Sinne einer christlichen Erziehung legen sie an der St.-Hildegard- Schule großen Wert auf ein gewaltfreies und faires Miteinander. Die Schüler hier sind allesamt förderbedürftig, haben etwa ein körperliches Handicap oder eine Lernschwäche. „Gott liebt jeden Menschen genau so, wie er ist. Niemand ist perfekt“, erklärt Marie-Theres Büdenbender die Grundmaxime der Schule. „Bei uns erkennen die Kinder ihre Stärken und lernen, zu ihrer Schwäche zu stehen und mit ihr umzugehen.“ Die Juniorwahl hält sie für eine guten Beitrag zur Inklusion, der Einbeziehung aller Menschen in die Gesellschaft, auch solcher mit einer Behinderung. Die Wahlvorbereitungen seien schon mit einigem Aufwand verbunden, „aber es lohnt sich“.

Engagiert bei der Sache ist auch Leo, gemeinsam mit Finja Klassensprecher und Wahlhelfer. Er beschäftigt sich gern mit Politik und findet die Juniorwahl gut: „Vorher hatte man vielleicht ein bisschen Angst, weil man nicht weiß, wie so eine Wahl abläuft. Nun haben wir einen Einblick bekommen.“ Er könne sich vorstellen, später auch mal bei einer realen Wahl als Wahlhelfer mitzuwirken. Gelegenheit dazu besteht schon bei der nächsten Bundestagswahl, bei der Neuntklässler Leo und seine Mitschüler erstmals mitwählen dürfen.

Aber wie ist die Juniorwahl in der St.-Hildegard-Schule denn nun ausgegangen? Ganz oben sind gleichauf CDU und Grüne mit je 26 %, gefolgt von der SPD mit 23 %. Nicht unbedingt alltäglich: Die Tierschutzpartei holt genauso viele Stimmen wie die Linke, nämlich 10 %, und zieht damit in den Bundestag der St.-Hildegard-Juniorwähler ein.