Den Mensch sehen wie er ist, das will die Kältehilfe der Caritas. Vieles ist daran gut. Heiße Fragen gibt es trotzdem: das schwierige Zusammenleben in einer Gemeinschaftsunterkunft, aber auch das knappe Geld.
„Berlin ist, wenn man hinsieht, wo andere wegschauen.“ Unter diesem Slogan das markante Gesicht
eines Mannes mit ergrautem Vollbart und Zottelhaar. Der Mann mit der rissigen Haut und der geröteten Nase heißt Dieter, ist 63 Jahre alt und wohnungslos. Die Plakatwerbung in U-Bahnstationen und Buswartehäuschen ist auffällig. Sie will aufmerksam machen auf die Lage der Obdachlosen in der Hauptstadt, die in diesen Wochen schutzlos der Witterung ausgesetzt sind.
Besonders im Winter ist die Tatsache, keine Wohnung zu haben, eine lebensbedrohliche. Die Berliner Kältehilfe, ein Zusammenschluss verschiedener sozialer Einrichtungen in der Regie von Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbänden, möchte mit der Kampagne zur Unterstützung durch Spenden motivieren. Seit 1989 hilft sie – nicht nur im Winter, schwerpunktmäßig aber in der Zeit vom 1. November eines jeden Jahres bis zum darauffolgenden 31. März – obdachlosen Menschen. Die Hilfe geschieht unbürokratisch, niedrigschwellig und innerhalb der Stadt flächendeckend. Das Ziel ist klar formuliert: Kein Mensch soll in Berlin erfrieren müssen.
Eine warme Bleibe gibt es für jeden zehnten Wohnungslosen
Eine der tragenden Säulen der Berliner Kältehilfe ist die Caritas der Erzdiözese. Sie bietet Suppenküchen
und Notübernachtungen an, wie die in der Weddinger Residenzstraße. Schlafplätze sind ein knappes Gut. In Berlin stehen etwa 800 Betten zur Verfügung, so dass nur etwa jeder zehnte wohnungslose Mensch eine warme Bleibe findet. „Aber es wollen auch nicht alle in Notunterkünfte“, erklärt Jennifer Kröger, Koordinatorin der Einrichtung Residenzstraße, die mit 25 Betten zu den eher kleineren gehört. Immer wieder lehnen einige Menschen selbst in der größten Not Hilfsangebote ab. Das erfuhr sie bei ihrer
zweiten Tätigkeit für die Caritas: Mit dem Arztmobil, einer kleinen Praxis auf Rädern, fährt sie zu markanten Stellen, an denen sich Obdachlose vermehrt aufhalten – Bahnhöfe, Parks, Brücken.
„Kranke werden bei uns bevorzugt aufgenommen“, so Jennifer Kröger, „ansonsten werden die Schlafplätze Anfang November vergeben und sind dann reserviert“. Die Berliner Kältehilfe erhält zwar Mittel des Landes Berlin bzw. der Bezirksämter sowie Eigenmittel der Wohlfahrtsverbände, doch ohne Spenden und ehrenamtliches Engagement könnten die Einrichtungen ihre Arbeit nicht bewerkstelligen. In der Notunterkunft Residenzstraße arbeiten sieben Hauptamtliche in Voll- oder Teilzeit, die von sieben Ehrenamtlichen unterstützt werden. Um 18.30 Uhr öffnet die Notunterkunft täglich ihre Pforten. Nach
dem Abendessen haben die Gäste noch die Möglichkeit, in einem Gemeinschaftsraum zu lesen oder zu spielen.
Einen Fernseher gibt es auch. „Die meisten gehen um 22 Uhr ins Bett. Das Leben auf der Straße macht müde.“ Bis zum nächsten Morgen um 7.30 Uhr dürfen sich die Gäste in der Einrichtung
aufhalten. Danach geht es zurück auf die Straße. Das Gemeinschaftsleben der Gäste, viele aus Osteuropa und einige aus Afrika, verläuft nicht immer reibungslos. Wenn sich 25 Männer drei Toiletten, zwei Duschen
und zwei Waschbecken teilen müssen, kommt es schon mal zu Spannungen. Jennifer Krögers Finger gleitet über den Bericht der letzten Nacht: Betrunken. Schläge. Einige Einträge sind alarmierend. „Da müssen wir dann auch mal Verwarnungen aussprechen. Und im Wiederholungsfall Verweise.“ Grundsätzlich gebe es aber keine ethnischen Konflikte zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft.
Flüchtlinge und Obdachlose konkurrieren nicht um Gelder
Im Gebäude nebenan spielen Flüchtlingskinder hinter hell erleuchteten Fenstern. Dass Obdachlose und Flüchtlinge manchmal gegeneinander ausgespielt werden, findet Jennifer Kröger „ganz furchtbar“. Vor allem ist es falsch. Im durchaus harten Verteilungskampf um Mittel seien sie keine Konkurrenten, da die
jeweilige Arbeit aus verschiedenen Töpfen bezahlt werde. Vom Bezirksamt gab es für die Notunterkunft
in diesem Winter sogar eine Erhöhung der Zuschüsse um zwei auf nun 17 Euro pro Bett und Nacht. Auch bei den privaten Zuwendungen gibt es in Zeiten der Flüchtlingskrise keine Einbußen für die Obdachlosenarbeit, im Gegenteil: „Es gab noch nie so viele Spenden wie in diesem Winter.“
Dennoch fehlt Geld und Wünsche bleiben offen: Die Dusche müsste dringend saniert werden. Dafür braucht es Spenden, die Mittel vom Bezirksamt reichen gerade zur Deckung der Personalkosten und für die täglichen Reinigungsarbeiten. Trotz der finanziellen Fragezeichen ist Jennifer Kröger zuversichtlich. Sie schätzt die christliche Ausrichtung der Caritas: „Hier wird der Mensch gesehen, wie er ist – hier und jetzt. Und es geht nicht nur um die möglichst schnelle Wiedereingliederung in die Leistungsgesellschaft. „Viele Gäste kämen daher gezielt in die Residenzstraße. Einige seien sehr religiös. Eine seelsorgliche Betreuung
gibt es jedoch nicht. Geld ist nicht alles, das fehlen kann.“