Plüschbären und Affen, Esel, Faultier, Ente, Maus und Schildkröte sorgten bei einem Gottesdienst in St. Wilhelm in Spandau-Wilhelmstadt für ein ungewohntes Bild. Die Teilnehmer eines Plüschtier-Gottesdienstes beteten für die verletzliche Gemeinschaft aller Geschöpfe mit ihrem Schöpfer.
Über die vielfältigen Beziehungen zwischen Mensch und Tier nachzudenken, gehört zu Jacqueline Liebigs Beruf als Dozentin. Mit angehenden Tierarzthelfern betrachtet sie zum Beispiel, wie sich hierzulande der Umgang mit Haus-, Nutz- und Lasttieren verändert oder wie sich menschliches Handeln weltweit auf die Artenvielfalt auswirkt. Sie nimmt Tiere als Tröster in der Einsamkeit, als Nahrungsmittel oder als Schimpf- und Kosewörter in den Blick und fragt danach, warum wir Bären oder Löwen, die wir in der Realität niemals in die Nähe unserer Kinder lassen würden, als Plüschabbild ins Babybett legen. In einem Plüschtier-Gottesdienst, den die Spandauer Gottesdienstbeauftragte im Oktober gemeinsam mit Diakon Berthold Schalk vorbereitet hatte, ließ sie viele ihrer beruflichen Erkenntnisse einfließen.
Mahnende Erinnerung an ausgestorbene Tiere
Bereits im September gab es in der St. Wilhelms-Gemeinde eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Schöpfungszeit“. Von Woche zu Woche füllten sich mehr Plätze in der Kirche mit Plüschtieren. Eigentlich sollten auch die Tiere der Weihnachtskrippe hier ihren Platz finden und daran erinnern, dass Tiere am Geheimnis der Geburt Christi teilhaben. Nachdem eine der kostbaren Holzfiguren beim Tag des offenen Denkmals abhanden gekommen war, hielten die plüschigen Kollegen allerdings allein die Stellung. Sie sollten symbolisch Leerstellen ausgestorbener Tierarten ausfüllen und an die Einladung erinnern, am 16. Oktober zur Kirche ein Lieblings-Kuscheltier mitzubringen oder ein Stofftier, das stellvertretend für ein lebendiges Haustier steht. Nicht nur Kinder mit ihren Eltern folgten der Einladung, auch alleinstehende Männer und Frauen, darunter auch einige, die sonst nicht in die St. Wilhelms-Kirche kommen.
Diakon Schalk hatte ein riesiges Faultier dabei, Jacqueline Liebig ihre Schnatter-Ente Berta. „Ich habe mich nicht getraut, meinen Bären mitzubringen. Der sitzt zu Hause auf der Couch“, verriet ein älterer Herr. „Wer sein Plüschtier zeigt, offenbart damit etwas von seiner verletzlichen Seite“, sagt Jacqueline Liebig.
Ein Höhepunkt der Liturgie war eine Stofftier-Segnung. Diakon Schalk habe dabei nicht leblose Gegenstände, sondern die Anwesenden in ihrer Verletzlichkeit und ihrer Sehnsucht nach Nähe und Gemeinschaft gesegnet, erläutert sie. Ganz bewusst wollten sie nach der langen Zeit der Kontakt-Beschränkungen die Aufmerksamkeit darauf richten. Nicht zuletzt dachten sie dabei auch an Menschen, die versuchen, die Leere ihrer Einsamkeit mit einem Haustier zu füllen und beteten um die Kraft, zwischenmenschliche Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.
Segen bewegt auch Kirchenferne
Vor der Kirchentür segnete Berthold Schalk am Ende des Gottesdienstes Tierhalter mit ihren lebendigen Haustieren. Jacqueline Liebig freute sich besonders über den Besuch einer älteren Frau aus der Nachbarschaft der Kirche, die sie persönlich eingeladen hatte. „Mit der Kirche tut sie sich sehr schwer, aber für den Segen war sie in ihrer Trauer um ihre kürzlich verstorbenen Haustiere so dankbar, dass sie spontan etwas Geld spenden wollte.“ Die Spende habe sie aber abgewehrt mit dem Hinweis, dass der Segen ein Geschenk Gottes an sie persönlich sei. Mit Jesus könne die Frau nicht so viel anfangen, über ein kleines Bild des heiligen Franziskus, von Tieren umgeben, war sie so froh, dass sie es in ihrer Wohnung aufgehängt hat.
Im nächsten Jahr soll es einen weiteren (Plüsch-)Tiersegnungsgottesdienst in Spandau geben. „Wir reden in der Kirche viel darüber, dass die frohe Botschaft alle Menschen erreichen soll, doch viele unserer kirchlichen Angebote sind so groß, dass sie die eigentlichen Adressaten überfordern“, findet Jacqueline Liebig. Es brauche Zwischenschritte wie diesen Segnungsgottesdienst, die in die Lebenswirklichkeit von Suchenden treffen und sie darin berühren.