Rupert von Stülpnagel war lange im Erzbistum Berlin für den Religionsunterricht zuständig. Er gehört zu einer Adelsfamilie, die mit einer Ausstellung in Prenzlau gerade auf ihr 700-jähriges Bestehen zurückschaut. Wer bei Adel an Standesdünkel und starre Traditionen denkt, wird überrascht.
Rupert von Stülpnagel hat fast ein Zehntel der Geschichte seiner Adelsfamilie miterlebt. Allein in diesen knapp sieben Jahrzehnten hat sich Erhebliches verändert in dem uckermärkischen Landadelsgeschlecht. Als Rupert in Westberlin zur Welt kam, waren die Türen bei den regelmäßig alle zwei Jahre stattfindenden Familientagen der von Stülpnagels für seinen Großvater und dessen Nachkommen noch verschlossen.
In seiner Herkunftsfamilie erzählte man sich, dass die Groß-Familie den Großvater Anfang des 20. Jahrhunderts vor die Wahl gestellt hatte: Die geplante Ehe mit einer katholischen Frau und deren zwei Töchtern eingehen oder weiterhin Teil des preußisch-protestantisch geprägten Familienverbandes bleiben. Der Großvater traf eine klare Entscheidung für seine Frau, ließ auch die noch folgenden gemeinsamen Kinder katholisch taufen. Die Verwandten machten ihre Ankündigung wahr. Erst 1953 gaben sie diesen rigorosen Kurs auf und öffneten sich gegenüber den Katholiken. Soweit die Erzählung über den Ausschluss in seiner Herkunftsfamilie. Nach den Ausstellungsrecherchen allerdings stellt sich der Ausschlussgrund „Konfessionalität“ auch für Rupert längst vielschichtiger dar.
Heute bezeichnet sich die zum niederen Uradel zählende Familie stolz als „katholisch und evangelisch“. Bei den Familientagen wird Ökumene gepflegt.
Im Blick sind auch die „Bürgerlichen“
Seit Ende Mai präsentiert sich die 1321 erstmals schriftlich erwähnte Familie von Stülpnagel im Museum Prenzlau als wandlungsfähig und bereit, unter den Erfordernissen der jeweiligen Zeiten Verantwortung zu übernehmen. Der Titel der Sonderausstellung „Nägel mit Köpfen“ ist ein Wortspiel mit dem Familiennamen, das auf die in allen Generationen anzutreffende Tatkraft und Entscheidungsfreudigkeit Bezug nimmt. Religion spielt in der kleinen Ausstellung eine eher beiläufige Rolle.
„Bei rund 100 Quadratmeter Ausstellungsfläche in einem Raum des ehemaligen Prenzlauer Dominikanerklosters mussten wir uns auf einige Akzente beschränken“, erläutert Rupert von Stülpnagel. Die Aufmerksamkeit der Ausstellungsmacher richtete sich unter anderem auf die Geschichte der uckermärkischen Familiengüter, auf bedeutende Persönlichkeiten aus der Familiengeschichte, auf den Zeitraum während und zwischen den Weltkriegen und auf den bürgerlichen Zweig der Familie, dem – wie in anderen Adelsfamilien auch – lange kaum Bedeutung zugemessen wurde. Es geht um die Nachkommen von Söhnen aus nichtehelichen Beziehungen der Adelsfamilie und aus Ehen mit Bürgerlichen. Ihnen wurde zwar der Familienname, nicht aber der Adelstitel vererbt. Nach und Nach waren diese Linien der Familie aus dem Blick geraten. Die von Stülpnagels haben mittlerweile die bürgerlichen Stülpnagels als Teil ihrer Familie akzeptiert und schätzen gelernt. Bis in die USA konnten sie bürgerliche Namensträger ausfindig machen. Besonders als geschickte Handwerker haben sich viele von ihnen einen Namen gemacht, weiß Rupert von Stülpnagel. Der Sitzungssaal im Rathaus von Malchin sei beispielsweise von Gustav Stülpnagel (1879–1966) ausgemalt worden.
Differenzierte Sicht auf eine tatkräftige Familie
Seine persönliche Sicht auf die eigene Familie hat sich nicht nur im Hinblick auf die Bürgerlichen im Laufe seines Lebens verändert. Was die Rolle der von Stülpnagels im Nationalsozialismus angeht, haben sich seine Erkenntnisse schon während seiner Schulzeit entscheidend erweitert. Carl-Heinrich von Stülpnagel (1886–1944) zählte zu den Akteuren des gescheiterten Hitler- Attentats vom 20. Juli 1944. Er war zunächst General, vollzog dann aber im Kontakt mit anderen Militärs wie Helmuth von Moltke, Claus von Stauffenberg und Caesar von Hofacker eine Wandlung.
Im Geschichtsunterricht verstand Rupert, dass es in seiner Familie keinesfalls nur Widerstandskämpfer gab. Otto von Stülpnagel (1878–1948) hatte Anteil an der Deportation tausender französischer Juden und wurde von Zeitgenossen „Schlächter von Paris“ genannt. Über ihn hatte er in der Familie nie zuvor gehört. Mittlerweile weiß er, dass 13 von Stülpnagels sich im Widerstand gegen die Nazis engagierten, ebenso viele waren überzeugte Funktionsträger des Regimes. Auch sein Großvater war schon früh Mitglied der NSDAP. Dieses Bewusstsein bewahrt ihn vor Überlegenheitsgefühlen: „Unsere Familie war keinesfalls besser als die übrige Bevölkerung!“
Dankbar ist der pensionierte Mitarbeiter des Erzbistums Berlin für die vielfältigen Begabungen unter den 110 derzeit im Familienverband organisierten von Stülpnagels. Die Ausstellung konnte die Familie – begleitet und unterstützt vom Team des Museums Dominikanerkloster Prenzlau – aus eigenen Kräfsten stemmen, denn in ihren Reihen gibt es einen Archivar, Architekten, Dekorateure, IT-Spezialisten und Historiker, die sich die Themen aufteilen konnten.
Rupert von Stülpnagel, studierter Jurist, Theologe und Historiker, hat sich der Rolle der Frauen gewidmet. Auch dabei fiel ihm die Wandlungsfähigkeit der Familie auf, deren Tradition jahrhundertelang „im Mannesstamm“ fortgeführt wurde. In der Familienchronik stieß er wiederholt auf die Formulierung, es sei „nur“ eine Tochter geboren worden. Nicht erst in unserem Jahrhundert haben Frauen der Familie sich über die Erwartung hinweggesetzt, ihren Männern den Rücken für Beruf, Politik und Militäreinsätze freizuhalten.
Der Historiker stieß bereits im 19. und 20. Jahrhundert auf Von-Stülpnagel-Frauen, die sich durch eigene Leistung definierten und neue Wege wagten. Unter den Vorreiterinnen dieses Rollenverständnisses hat er unter anderem eine Frauenrechtlerin ausfindig gemacht, eine Missionarin, eine Bundesverdienstkreuzträgerin und die Geschäftsführerin eines Pharmaunternehmens.
Bilder, kurze Texte und Anschauungsobjekte veranschaulichen im Ausstellungsraum die Familiengeschichte: die Bronzemedaille, die ein von Stülpnagel bei den Olympischen Spielen von 1936 in der 400-Meter-Staffel gewann, technische Geräte aus dem Landgut Lindhorst, ein Geschichtsbuch, zu dem ein Kartograph der Familie seinen Beitrag geleistet hat. Wer sich ausführlicher informieren möchte, erfährt
Weiteres auf der Familienhomepage www.vonstuelpnagel.de