Fallen vor dem Krieg geflohene Ukrainerinnen in Berlin und Brandenburg der Zwangsprostitution zum Opfer? Margarete Muresan von der katholischen Beratungsstelle IN VIA möchte das verhindern.
Hat der russische Angriff auf die Ukraine dazu beigetragen, dass Frauen in die Zwangsprostitution getrieben wurden? Margarete Muresan vom Verband IN VIA unterstützt Frauen, die Opfer ausbeuterischer Verhältnisse geworden sind, vermittelt ihnen Rechtsbeistand und gynäkologische Hilfe, begleitet sie zur Polizei und später zu Gerichtsverfahren. In Berlin und Brandenburg seien ihr bislang keine Fälle bekannt geworden. „Bei uns haben sich durchaus Frauen und Familien in Not gemeldet“, sagt sie. „Allerdings ging es nicht um Menschenhandel. Sie wurden betrogen, was die Unterkunft anbelangt, oder hatten Schwierigkeiten mit den Behörden.“
Statistiken: kein Grund zur Panik, kein Grund zur Entwarnung
Laut Bundeskriminalamt (BKA) war Berlin in den vergangenen Jahren eine Hochburg der Zwangsprostitution. Jedes Jahr veröffentlicht die Behörde das „Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung“. Unter Menschenhandel ist zum Beispiel zu verstehen, dass Personen die Papiere abgenommen werden, um sie einzusperren und zu zwingen, wie Sklaven zu schuften – auch als Prostituierte.
Der Gewinn fließt in die Taschen der Täter, während die Opfer, in aller Regel Frauen, unter psychischem Druck, Misshandlungen und miserablen hygienischen Bedingungen leiden. Nach Deutschland gelockt werden sie unter falschen Versprechungen – zum Beispiel, dass sie hier eine gut bezahlte Tätigkeit in einem Hotel erwarte. „In den 1990er Jahren stammten viele Frauen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, auch aus der Ukraine“, sagt Margarete Muresan von IN VIA. Zumindest in den vergangenen Jahren sei die Zahl der Ukrainerinnen unter den Opfern aber zurückgegangen.
Das „Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung“ des BKA bestätigt dies. Deutschlandweit 291 Ermittlungsverfahren wurden im Bereich „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ im Jahr 2020 abgeschlossen. Nur die wenigsten mutmaßlichen Opfer sind Ukrainerinnen, die meisten stammen aus Deutschland, Rumänien und Bulgarien.
Grund zur Entwarnung ist dies jedoch nicht. Zum einen, weil die aktuellen Ereignisse und mögliche Auswirkungen auf den Menschenhandel in dem BKA-Bericht von 2020 noch nicht berücksichtigt sein können. Zum anderen, weil kriminelle Ausbeutungsstrukturen nicht von heute auf morgen wirksam werden. „Es ist noch viel zu früh, um zu sagen, ob ukrainische Mädchen und Frauen hier der Zwangsprostitution zum Opfer gefallen sind“, sagt Beraterin Margarete Muresan. Es dauere, bis die Täter die Frauen angeworben haben. „Und bis die Frauen begriffen haben, in welcher Situation sie sich befinden, und Hilfe suchen können, ziehen mitunter viele Wochen ins Land.“
Sven Ramones von der christlichen Organisation „International Justice Mission“, die moderne Sklaverei und Zwangsprostitution bekämpft, sieht für die kommenden Wochen und Monate ein erhöhtes Risiko – vor allem für jene Frauen, die sich aus der Ukraine nach Rumänien retten. „Dann nämlich, wenn die materiellen Ressourcen einiger Flüchtlingsgruppen, insbesondere Frauen und Mädchen, zur Neige gehen. Verzweiflung macht anfälliger für Täuschungen und betrügerische Versprechungen von Menschenhändlern“, so Ramones.
Das BKA berichtet auf Anfrage bereits von Fällen in Deutschland. Betroffen seien überwiegend volljährige ukrainische Frauen. Doch es gebe auch männliche sowie minderjährige Opfer. Bislang seien insgesamt 17 strafrechtliche Sachverhalte „aus den Deliktsbereichen Zwangsprostitution, sexuelle Ausbeutung sowie Arbeitsausbeutung“ bekannt geworden. Außerdem gebe es „ein Dunkelfeld“. Das BKA informiert weiter: „Es handelt sich meist um männliche Einzeltäter sowohl aus Deutschland als auch dem Ausland. Die Ausbeutungen fanden in Privatwohnungen sowie in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete, Bordellen und im öffentlichen Bereich statt.“
Muresan:„Es gibt nicht nur die sexuelle Ausbeutung"
Dass es nicht weit mehr Fälle gab, führt das BKA auch auf die gute Präventionsarbeit zurück. Diese leistet unter anderem die Caritas, die auch in der Ukraine tätig ist. Mitarbeiterinnen warnen die Flüchtlinge schon dort vor einschlägigen Gefahren, berichtet IN VIA-Beraterin Margarete Muresan. Bevor die ersten Züge nach Deutschland rollten, ließ auch ihre Organisation Informationsmaterial vorbereiten, das Ehrenamtliche an die Fahrgäste verteilten.
„Wir raten den Frauen zu gesunder Skepsis“, sagt Margarete Muresan. „Und empfehlen ihnen Unterkünfte, die den Behörden und den Hilfsorganisationen bekannt sind.“ Würden Frauen trotzdem zu Einheimischen in eine Privatwohnung ziehen wollen, sollten sie ihre Bekannten und die ehrenamtlichen Helfer über die Adresse in Kenntnis setzen. Allerdings sollten die Frauen auch nicht in Angst verfallen, meint Muresan: „Man kann nicht sagen: Nur weil ein alleinstehender Mann einen Platz in seiner Wohnung anbietet, hat er falsche Gedanken. Es gibt viele Männer mit ehrlichen Intentionen.“
IN VIA setzt weiter auf solide Information und Beratung. „Die Ukrainer sind untereinander gut vernetzt und tauschen sich über die sozialen Netzwerke aus“, sagt Margarete Muresan. „Viele wissen: Wenn etwas auffällig ist, können sie hier in Deutschland Hilfe holen.“ Die allermeisten hätten grundsätzlich auch Vertrauen in die Polizei. Diese sei nach Kriegsausbruch an den deutschen Bahnhöfen sehr präsent gewesen. Auf die Flüchtlinge mag das vertrauenserweckend gewirkt haben.
Wichtig ist Muresan, dass bei aller Sensibilität für die Grausamkeit der Zwangsprostitution die anderen Formen der Ausbeutung nicht aus dem Blick geraten. Sie sorgt sich darum, dass geflüchtete Ukrainerinnen als Billigkräfte in Haushalt, Pflege und Landwirtschaft ausgebeutet werden könnten. „Wir müssen die Ankommenden deshalb über die hiesigen Arbeitsstandards informieren“, fordert sie.