Nach der Auflösung der Gemeinden in den ehemaligen deutschen Ostgebieten nach dem Zweiten Weltkrieg kamen zahlreiche Kunstwerke nach Deutschland. Berlin gibt nun Kunstschätze an die Marienkirche Danzig zurück.
Generationen von Danzigern haben davor gebetet. Und später dann viele Berliner. Die Rede ist von einem Altarsockel, einer sogenannten Predella. Das Kunstwerk aus bemaltem Eichenholz stammt aus dem 15. Jahrhundert. Es zeigt Gott mit langem, weißem Bart auf dem Gnadenthron, flankiert vom heiligen Olaf von Norwegen und dem heiligen Georg. Bis März war die Predella in der Evangelischen Sankt Johanniskirche im Berliner Stadtteil Tiergarten zu sehen. Doch ursprünglich war sie von einem unbekannten Meister für die Marienkirche in der Hansestadt Danzig (Gdansk) angefertigt worden.
Und dorthin kehrt sie nun zurück. Denn in Berlin war der Altarsockel nur als Leihgabe. Wie alle Kunstwerke aus den evangelischen Kirchen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten, deren Gemeinden nach dem Zweiten Weltkrieg durch Flucht und Vertreibung untergingen, befand er sich im Besitz der Union Evangelischer Kirchen (UEK), der Rechtsnachfolgerin der altpreußischen Evangelischen Kirche der Union. 2018 entschied sich das Präsidium der UEK, dass die Predella zusammen mit der in der Berliner Gemäldegalerie aufbewahrten, dazugehörigen Altartafel wieder nach Danzig zurückgegeben werden solle.
In einem Sonntagsgottesdienst wurde das Kunstwerk deswegen von der Gemeinde verabschiedet. „Wir geben Ihnen diese Predella mit, weil sie Ihre ist“, sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein, an die polnischen Teilnehmer des Gottesdienstes. „Weil sie hier nur behütet und verwahrt worden ist.“ Und zwar als „Folge des schrecklichen Krieges, der in deutschem Namen begonnen wurde“. Durch die Predella seien die beiden Kirchen in Berlin und Danzig nun miteinander verbunden, sagte Stäblein.
Kunstwerk als Friedensstifter
Der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates der Evangelischen Kirchengemeinde Tiergarten, Fabian Eidtner, sprach von einem „lachenden und einem weinenden Auge“, mit dem die Gemeinde das Kunstwerk zurückgebe. Denn in der Kirche hatte das gotische Kunstwerk eine wichtige Funktion: 1957, als die ursprünglich von Karl Friedrich Schinkel entworfene Sankt Johanniskirche nach Plänen von Otto Bartning wieder aufgebaut worden war, waren viele Gemeindeglieder von der Architektur der Nachkriegsmoderne verschreckt. Innen fast ohne jede Kunst und ganz in weiß gehalten, strahlte die Kirche eine strenge, nüchterne Atmosphäre aus. Die gotische Predella aus Danzig und eine im Altarraum aufgestellte Kreuzigungsgruppe aus der im Krieg zerstörten Berliner Franziskaner-Klosterkirche „symbolisierten dagegen Tradition und Kontinuität“, erläuterte Eidtner. Sie hätten eine „friedensstiftende Wirkung“ in der Gemeinde gehabt.
Künftig werden es wieder die Danziger sein, die vor dem gotischen Altar beten können. „Vor dem Bild haben evangelische und katholische Christen gebetet“, sagte Ireneusz Bradtke, der Prälat der dortigen Marienkirche, in einem Grußwort. Die bis 1945 evangelische Oberpfarrkirche Sankt Marien ist heute die katholische Kathedralbasilika des Erzbistums Danzig. Er freue sich, so Bradtke weiter, dass man einen Weg gefunden habe, wie das Bild an seinen Ursprungsort zurückkehren könne. Ohnehin gehörten die Christen in Deutschland und Polen heute gemeinsam zur EU, betonte der Geistliche. Und in der EU sei die Gemeinschaft der Christen wichtig. „Wir müssen im gemeinsamen Europa dafür kämpfen, dass christliche Werte stetig an Bedeutung gewinnen.“ Im April sollte der Altar mit einem Gottesdienst in der Marienkirche, an dem auch die stellvertretende Ratsvorsitzende und Polenbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Annette Kurschus, teilnehmen wollte, in Danzig wieder in Gebrauch genommen werden. Aufgrund der Corona-Krise wurde der Gottesdienst jedoch verschoben.
Zeichen der deutschpolnischen Versöhnung
„Ich bin sehr dankbar für die Initiative der UEK zur Rückführung der beiden wertvollen Altarteile“, sagte Präses Kurschus. „Für mich kommt damit ein Kapitel polnisch-deutscher Geschichte zu einem vorläufigen Abschluss: Die Altartafel und die Predella des Dreifaltigkeitsaltars kehren an den Ort zurück, für den sie geschaffen wurden. Mein Wunsch ist, dass dies als ein Zeichen der deutsch-polnischen Versöhnung und der ökumenischen Verbundenheit aufgenommen werde und es der deutsch-polnischen Aussöhnung im 75. Jahr des Endes des Zweiten Weltkrieges diene.“