Suizid im Alter diskutiert Podiumsveranstaltung in der Katholischen Akademie Berlin

Berlin. Wiegt das Recht auf Selbstbestimmung schwerer als das Gut des Lebens? Gibt es ein „Recht, Hand an sich zu legen“? Wie sollen Ärzte und Seelsorger damit umgehen? Über das Thema „Suizid im Altern“ diskutierten Fachleute aus Wissenschaft und Poliktik in der Katholischen Akademie. „Ich bin 86. Um mich herum stirbt es seit Jahren. Und ich denke bei manchen, so einen Tod möchte ich nicht sterben. Eine meiner Bekannten, eine tiefgläubige Frau, hat Sterbehilfe in Anspruch genommen. Sie ist dafür in die Schweiz gefahren. Und ich bin sicher: Sie wird gestorben sein mit dem Gedanken: In deine Hände befehle ich meinen Geist. Eine andere hat sich verhungern lassen.“ Fast zum Ende der Diskussionsveranstaltung
„Hinnehmen oder verhindern? Suizid im Altern und in Krankheit“, die der Deutsche Hospiz- und Palliativverband, das Berliner Institut für christliche Ethik und Politik und die Katholische Akademie in
Berlin am vergangenen Mittwochabend ausgerichtet haben, äußerte sich eine Frau aus dem Publikum
mit diesem Statement. Sie führte damit noch einmal das ganze Spannungsfeld der Frage vor Augen, allerdings deutlich als Anwältin für ein Sterben in Würde oder für den „verzweifelten Versuch der Selbstrettung“ angesichts einer „helfenden Wissenschaft, die Sterbende aus Selbstsucht nicht sterben lassen will“, auf den Dr. Andreas Lob-Hüdepohl in seinem Impulsreferat zu Beginn hingewiesen hatte. Er verwies damit auf Jean Améry, der in seinem Buch „Hand an sich legen“ das Recht auf einen selbstbestimmten Tod gefordert hatte. Dieses Recht und die Frage, ob es hinzunehmen, unter Umständen
sogar zu verteidigen sei und ob jene, die es in Anspruch nehmen, zu begleiten sind, bildete den einen Pol der Podiumsdiskussion. Der andere galt der Aufgabe, Suizide zu verhindern und die Gründe, die dazu führen können, einzudämmen. Zwischen diesen Ansätzen positionierten sich die zwei Hauptdisputanten an diesem Abend: Dr. Christiane Woopen, die Leiterin der Forschungsstelle Ethik im Universitätsklinikum Köln und Dr. Stephan Sahm, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie/Onkologie im Ketteler-Krankenhaus
in Offenbach.

Beziehungen helfen, Wunsch nach Suizid zu überwinden

So bestand Sahm bei der Frage,ob die Gesellschaft die Pflicht habe, Suizide zu verhindern, vor allem auf einer intensiven Beziehung zwischen Arzt, Pflegepersonal und alten Menschen, die suizidgefährdet sind. „Das Bündnis gegen den Suizid beginnt, indem man die Beziehung aufbaut“, sagte er und verwies darauf, dass diese Beziehung im Palliativbereich dazu beiträgt, geäußerte Suizidwünsche zu überwinden. Aus diesem Grund begrüße er das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe seit 2015. Woopen gab dagegen zu bedenken, dass Ärzte als primäre Ansprechpartner suizidgefährdeter alter Menschen, wenn sie sich der Frage der Sterbehilfe generell verweigerten, ihre Pflicht zur Begleitung kranker Menschen verletzten. Sie betonte: „Die Gesellschaft hat die Aufgabe, das hohe Gut des Lebens zu fördern“, ergänzte aber: „Die Selbstbestimmung ist das höchste Gut“ und votierte somit für einen ärztlichen und seelsorglichen
Beistand im Falle eines ernsten Selbsttötungsbegehrens. Einig war sich das gesamte Podium, auch die beiden Vertreter aus der Politik – der Parlamentarische Staatssekretär Markus Grübel von der CDU/CSU-Fraktion und Maria Klein-Schmeink, die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – darin, dass die Prävention von Alterssuiziden verbessert werden muss. Dazu gehöre der Ausbau
niederschwelliger Beratungs- und Krisenhilfsangebote, die Erweiterung und Verbesserung der palliativen
Betreuung und die Schulung und Sensibilisierung des medizinischen Personals in Krankenhäusern
und Alteneinrichtungen.

Gesellschaftliche Umstände führen zu Suizidgefährdung

Gegen die gesellschaftlichen Umstände, die zur Suizidgefährdung im Alter führen, können diese Maßnahmen vermutlich nichts ausrichten: Neben dem Verlust sozialer Beziehungen, der bedrohten Selbstständigkeit und dem Verlust des Selbstwertgefühls, die alte Menschen dahin bringen können, ihrem Leben ein Ende setzen zu wollen, gibt es so etwas wie ein altenfeindliches Klima, auf das Dr. Lob-Hüdepohl eingangs hingewiesen hatte. Es ist eine Haltung, die Alter als bloßen Niedergang ansieht und es wegen der Kosten, die sich aus Betreuung und Pflege ergeben, als Bedrohung der übrigen Gesellschaft versteht.

Info:

Deutschland befindet sich in Europa am Ende des oberen Drittels, was Suizide im Alter anlangt. Bei
etwa 100 000 Suizidversuchen im Jahr sterben in Deutschland 10 000 Menschen. 35 % davon sind über 65 Jahre alt. Besonders gefährdet sind Männer im Alter.