Am 10. September wäre Kardinal Bengsch 100 Jahre alt geworden. Erzbischof Heiner Koch ehrte mit einem Gedenkgottesdienst einen Mann der Kirche und eine große Berliner Persönlichkeit.
Fraglos, der gebürtige Berliner Alfred Bengsch lebte in einer denkbar bewegten Zeit. Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg, Nachkriegsjahre und Mauerbau, die Leitung des Bistums der geteilten Stadt, später das II. Vatikanische Konzil und die 68er-Bewegung und jeweils deren Folgen für Kirche und Gesellschaft – Kardinal Bengsch wurde einiges abverlangt. Zu dessen 100. Geburtstag würdigte Erzbischof Heiner Koch sein Leben und sein Wirken in einem Gedenkgottesdienst in der Kirche Corpus Christi in Prenzlauer Berg. Genau dort wurde er 1961 in das Amt des Bischofs eingeführt, denn die damaligen Bauarbeiten an der Kathedrale Sankt Hedwig waren noch nicht abgeschlossen.
Koch: Alfred Bengsch als Inspiration für heute
Der Ton seiner Predigt war voller Respekt, zugleich stellte Erzbischof Koch aber auch Fragen, deren Beantwortung er den Zuhörern überließ. „In den Spannungen und Herausforderungen dieser Zeiten ist mir Kardinal Bengsch in seiner Persönlichkeit und in seinem Handeln letztlich unergründlich geblieben“, sagte er. Gemeint waren umstrittene Entscheidungen wie zum Beispiel die Anweisung, den Mauerbau nicht öffentlich zu kritisieren. Überhaupt habe sich Kardinal Bengsch politisch eher distanziert verhalten, vor allem im Tagesgeschäft gegenüber dem DDR-Regime, „auch wenn er sich in Grundsatzfragen eindeutig positionierte“, so Heiner Koch.
Herausgefordert sah er sich auch in mancher Debatte um innerkirchliche Fragestellungen – das Konzilsdokument „Gaudium et spes“ etwa habe er abgelehnt. Die unterschiedlichen Bewertungen von Kardinal Bengsch finden sich laut Erzbischof Koch auch in einigen aktuellen innerkirchlichen Positionen wieder. Damit schlug er die Brücke zum Synodalen Weg und rief dazu auf, „die unterschiedlichen Positionen zu verstehen und die eigene Position kritisch zu überprüfen“. Ohne einen solchen Lernprozess würden „die Mauern zwischen uns noch höher gezogen, werden wir nicht miteinander verbunden bleiben in der Einheit der Kirche“. Diese in seinem durch die Mauer getrennten Bistum zu erhalten, sei stets Kardinal Bengschs besonderes Anliegen gewesen, wie Heiner Koch unterstrich.
Bengsch begeisterte die Berliner Katholiken
Nach dem Gottesdienst blieben noch zahlreiche Besucher, sprachen über Kardinal Bengsch und über die Gedenkpredigt ihm zu Ehren. „Ich hätte mir gewünscht, durch die Predigt noch mehr über den Menschen Alfred Bengsch zu erfahren, fernab von seiner bloßen Biografie und seinem Handeln als Bischof“, meinte ein aus Franken zugezogener Besucher.
Als Quell von Anekdoten stellte sich die Besucherin Margot Strachotta heraus. Sie erzählte, wie am Ostseestrand in Zinnowitz, einem von Kardinal Bengschs bevorzugten Urlaubs- zielen, des Kardinals Fähigkeiten als Bodyguard gefragt waren. Ein paar Halbstarke hatten wohl Gefallen an ihr und ihren Freundinnen, seinerzeit angehende Krankenschwestern im Sankt-Marien-Stift, gefunden. Alfred Bengsch habe sich bei ihnen erkundigt, ob die Avancen denn auch gewollt seien – mitnichten. „Er ging dann hin und machte eine Ansage. Und die hat gefruchtet“, erzählte sie. Stolz zeigt sie den Schott samt persönlicher Widmung, den sie von ihm am Urlaubsende zum Abschied erhielt.
Auch sonst schwärmte Margot Strachotta von Kardinal Bengsch, der sie und viele andere Katholiken im Osten Berlins und in der gesamten DDR nachhaltig geprägt habe. „Seid wahrhaftig und treu, seid stolz auf das, was und wer ihr seid. Seid das Salz in der Suppe“, habe er ihnen stets gepredigt. Beim Requiem hätten die Anwesenden „geheult wie die Schlosshunde“.
Angesprochen auf die Missbrauchsfälle in der Kirche, auch im Bistum Berlin während der Amtszeit von Kardinal Bengsch, entgegnete die 76-jährige aber resolut: „Was geschen ist, gehört auf den Tisch, müssen aufgeklärt werden. Das sind wir vor allem den Betroffenen schuldig.“