Vom Wasser des Lebens und lebendigen Quellen

Drei Generationen vereint unter dem „Hochzeitsbogen“: Waltraut Willer und Familie Schulz (im Hintergrund) mit Pfarrer Thomas Höhle (links), der die Ortsgemeinde Lychen seit 2005 von Templin aus betreut. | Foto: Marina Dodt

Serie „Katholisch in Brandenburg“: Der uckermärkische Kurort Lychen baut auf Wasser und verfügt über viel Leben. Die zur Pfarrei Templin gehörende kleine Ortsgemeinde ist dafür ein Zeugnis.

Das Foto in der Festschrift ist fast 85 Jahre alt. Es zeigt eine fröhliche Kinderschar zu einem besonders freudigen Anlass: Am 10. Juni 1934 wird nahe der Heilstätten Hohenlychen die katholische Kirche durch den Berliner Bischof Nikolaus Bares benediziert und dem Heiligen Geist geweiht. Nach über 500 Jahren sei wieder einmal ein Bischof in Lychen eingezogen, um eine Kirche zu weihen, schrieb seinerzeit die Templiner Zeitung. Im Schatten der bereits drohenden NS-Herrschaft gelang es dem damaligen Templiner Pfarrer Kurt Ueberholz, den Neubau eines eigenen Gotteshauses für die Lychener Katholiken zu erwirken. Er gilt nicht nur als sein Erbauer, sondern spendete neben weiteren Stiftern auch die Hauptsumme für den Kirchbau. Über 40 Jahre betreute er die Lychener Ortsgemeinde. Die Kirchen in Lychen und Templin seien Sinnbilder für sein Leben, wird es später in der ebenfalls von einem langjährigen Wegbegleiter der Lychener, Pfarrer Beier, verfassten Gedenkschrift zum 80-jährigen Bestehen des Kirchleins heißen.

Seit über 80 Jahren der Gemeinde verbunden

Sie lenkt den Blick wieder auf das Bild der fast 30 Kinder am Weihetag 1934. Mitten in der ersten Reihe sitzt die kleine, damals dreijährige Waltraud Willer mit einem großen Buch in der Hand. Ob sie damals schon ahnte, dass sie viele Seiten im Buch der neuen Kirche und der Gemeinde einmal selbst mit Leben füllen wird? An die Kirchweihe und den Fototermin kann sie sich nicht mehr erinnern, sagt sie, dennoch ist sie mit ihrer Kirche in der Zehdenicker Straße 36 vom ersten Tag an fest verbunden – nunmehr über 80 Jahre! Genau 20 Jahre war Waltraud Willer ehrenamtlich als Küsterin tätig, kümmert sich bis heute um die Kirchenwäsche und ist die gute Seele der ca. 100 Mitglieder zählenden Gemeinde. So tritt sie auch während dieser Samstag-Vorabendmesse an den Altar, um die Fürbitten vorzutragen. Und sie ist das gute Gedächtnis der Gemeinde, viele ihrer Erinnerungen flossen als reiche Quelle in Chronik und Gedenkschrift. Sämtliche Pfarrer und Kapläne benennt Waltraut Willer aus dem Effeff und viele Kinder auf dem historischen Foto vom Weihetag 1934. So zum Beispiel den Jüngling mit der feschen Mütze in der oberen Reihe, eines der Kinder der Lychener Familie Kleineidam. Aus dieser weit verzweigten Familie gingen namhafte Priester für den Delegaturbezirk beziehungsweise das Bistum Berlin hervor, angefangen von Delegat Karl Kleineidam bis hin zu Weihbischof Johannes Kleineidam. Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, den 50.Weihetag der Lychener Kirche am 10. Juni 1984 zu zelebrieren und die Weihe des neuen Altares vorzunehmen, da er wenige Tage zuvor im Alter von nur 45 Jahren verstarb.

Sein Nachfolger Weihbischof Weider vollzog dann im Rahmen des Jubiläumsgottesdienstes die Altarweihe, spricht beim Entzünden der Flamme vom Feuer, das die aufgetragene Last verwandelt. Der heute 59-jährige Eckhard Schulz, ebenfalls ein Lychener Urgestein, kann sich an diese Lasten noch gut erinnern. Mit seiner Frau Karin steht er für die Generation, die mit der DDR in die nächste Diktatur hineingeboren wurde. Katholisch in der Uckermark, das war nicht einfach, sagt er, immer beäugt aus dem gegenüberliegenden Neubaublock und mit genauer Buchführung der Stasi-Spitzel, wer wann in die Kirche ging. Dazu die schlechte oder fehlende öffentliche Anbindung an die Muttergemeinde Templin. „Wir waren in der Diaspora noch einmal Diaspora.“

Neue Partnerschaften entstehen

Auch die Wende brachte nicht die erhoffte (Rück-)Besinnung auf den Glauben und einen neuen Geist rund um die Heilig-Geist-Kapelle. So erzählt Tochter Katharina Schulz aus ihrer Schulzeit von „gewendeten“ Lehrern, die die Religion einst verteufelten, dann aber Ethikunterricht erteilten – ein Bruch und Umbrüche, die bis heute spürbar sind. Doch die Lychener blieben und bleiben sich treu, in guter Weggemeinschaft und aus einer neuen Quelle. So gibt es auf Initiative des damaligen Pfarrers Fehtke seit 1991 eine enge Partnerschaft zur Pfarrgemeinde Hopsten in Westfalen mit gegenseitigen jährlichen Besuchen, gemeinsamen Ausflügen, dem Gesang des Hopstener Kirchenchores zur Lychener Glockenweihe 1992 oder der beiderseitigen Teilnahme an gemeindlichen Höhepunkten.

Jede der fünf Familien aus dem Lychener Ehekreis, zu dem neben Karin und Eckhard Schulz auch die Familien Schreiber, Töpfer, Rensch und Herrmann gehören, hat in Hopsten eine Patenfamilie. „Aus Fremden wurden Freunde“, sagt Katharina Schulz, und diese erlebte Gemeinschaft im Geben und Nehmen gehört für sie zu den schönsten Kindheits- und Jugenderinnerungen. Heute ist die 35-Jährige Lehrerin am Emil-von-Behring-Gymnasium Großhansdorf bei Hamburg, auch ihre Jugendfreunde leben in Metropolregionen. Die seit der Kirchweihe dritte Gemeindegeneration trifft sich nur noch bei Heimaturlauben oder zum alljährlichen Flößerfest. Dennoch, sagt Katharina Schulz, ist Lychen ihr Zuhause und die Hopstener sind ein Teil der Familie.

Fast 30 Jahre Partnerschaft mit Hopsten, das ist auch für Pfarrer Thomas Höhle ein Beispiel für die große Beständigkeit seiner Lychener und für die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich um ihre Gemeinde und Kirche kümmern; sei es der im Ehekreis monatlich wechselnde Küsterdienst oder die in Eigenregie ausgeführten Bau- und Reparaturmaßnahmen. So spricht er auch in seiner heutigen Predigt von zunächst oft unscheinbaren Quellen, die doch das Eigentliche, das Wichtigste hervorbringen. Auf diese guten Quellen und den guten Geist ihres Patroziniums vertrauen die Lychener auch in Zukunft: So wird der im September startende Pastorale Raum Uckermark neue, große Herausforderungen mit sich bringen. Hoffnung machen die auch dank Zuzug gegenwärtig sechs Kinder der Ortsgemeinde. Vielleicht gibt es ja am 85. Weihetag, am 10. Juni 2019, wieder ein Gemeindefoto mit den Kindern der vierten Generation in der ersten Reihe …