Wie aus Klamotten wieder Kleidung wirdMit „Stoffwechsel“ verwirklichte die youngcaritas ein im doppelten Sinne anziehendes Projekt

Frauensache(n): Anne Grabs, Karin Fröhlich mit Töchterchen Mathilda und das kleine Französische. Foto: Marina Dodt

„Stoffwechsel“, unter diesem Motto veranstaltete youngcaritas Berlin, die Caritas- Plattform für soziales Engagement junger Menschen, eine Kleidertauschparty. Junge Leute waren dazu eingeladen, Kleidungsstücke mitzubringen und gegen andere zu tauschen. Gut 40 Besucher kamen.

Das kleine Französische hat es ihr angetan. Mit sattem Rot, feschem Schnitt und kessen Punkten punktet es bei Anne Grabs. Die junge Berlinerin hat sich sofort in das Kleid mit dem unverkennbar französischen Charme verguckt. Auch Karin Fröhlich ist fündig geworden, hält neben Töchterchen Mathilda (9 Monate) eine Hose und einen Blazer im Arm.

Einkaufserlebnis der besonderen Art

Die beiden Freundinnen haben selbst schon Kleidertauschpartys organisiert, Anne Grabs reiste dafür sogar bis nach Österreich. Nun aber genießen sie in Berlin die anziehende und wohltuende Atmosphäre dieses Sonntags-Shoppings der besonderen Art. Hier erinnert nichts an ein schrilles Einkaufserlebnis: Es gibt weder Wühltische noch aufdringliche Beschallung. Der Samowar köchelt leise vor sich hin, Kaffeegeruch und dezente Hintergrundmusik verströmen Behaglichkeit, laden ein zum Bleiben und Schauen. Es ist das erste youngcaritas-Event der jungen Sozialwissenschaftlerin Anja Bauer, die seit knapp zwei Monaten das Projekt „vergissmeinnicht“ verantwortet. So werden in der Upcycling-Schneiderwerkstatt aus alten Sakkos oder Hemden, versehen mit bunten Details, Rucksäcke, Kissen oder witzige Schürzen, fantasievolle Unikate. Aus ihrem Verkaufserlös auf Berliner Märkten werden soziale Caritas-Projekte refinanziert.

In diesem Sinne passt auch die Kleidertauschparty wie maßgeschneidert – mit einer denkbar einfachen wie originellen Idee: „Miste deinen Kleiderschrank aus und bringe höchstens fünf Kleidungsstücke mit. Wichtig ist für uns, dass die Kleidungsstücke in einem guten Zustand sind. Je schöner und qualitativer die Kleidungsstücke sind, die du mitbringst, umso besser wird die Kleidertauschparty!“, warb Anja Bauer u.a. in ihrer Facebook-Einladung.

Originell ist auch das System mit K(n)öpfchen, mit dem Anja Bauer und ihre drei ehrenamtlichen Helferinnen die abgegebenen Kleidungsstücke bewerteten: eine Hose = 5 Knöpfe, Pullover = 4 Knöpfe, Kleider = 4 Knöpfe oder ein T-Shirt = 3 Knöpfe.

Das kleine Französische hängt inzwischen auf dem Kleiderständer. Anne Grabs streicht es sorgsam zurecht. Es sei doch nicht ganz das Passende, aber sie hat ja noch Tauschknöpfe, die sie aus ihrer Kleiderspende erworben hat. Alles kleine Designer-Label, frisch gewaschen und extra gebügelt. Als Ausdruck der Wertschätzung, sagt sie.

Wertschätzung, das ist genau der rote Faden, der sich unaufdringlich durch den „Stoffwechsel“ zieht. Die Haupt-Sache ist hier nicht billig, sondern wertvoll, gemessen an der menschlichen Arbeit und den Ressourcen, die jedem einzelnen Kleidungsstück stecken. So hat Anja Bauer eine unlängst beim Caritas-Kongress vorgestellte Präsentation ausgehängt, über die „Dimensionen unserer verrückten Kleidungsindustrie“ im Gegensatz zu den endlichen Ressourcen unseres Planeten. Allein für die Herstellung eines einzigen T-Shirts werden 2700 Liter Wasser benötigt. Das ist genug, um einen Menschen 900 Tage zu versorgen. Und in deutschen Kleiderschränken hängt heute vier Mal so viel Kleidung wie noch 1980. Allein das Bewusstwerden dieser Zahlen macht aus „Stoffwechsel“ auch einen Perspektivwechsel.

Kandidat für den Container wird zum Hochzeitskleid

Das kleine Französische hängt noch auf dem ordentlich sortierten Kleiderständer. Dafür hat ein anderer Tagesfavorit eine neue Trägerin gefunden. Das schwarze Etui-Kleid mit geblümtem Oberteil passt Ulrike Wronski wie angegossen. „Im Juli heiraten meine Freunde“, kommentiert sie den Neuerwerb strahlend. Aus dem Kandidaten für den Container wurde ein Hochzeitskleid.