Berlin ist nicht Syrien und nicht Afghanistan. Dennoch finden Flüchtlinge hier Erinnerungen an die Heimat. Die Katholische Hochschule für Sozialwesen zeigt eine Fotoausstellung mit ungewöhnlichem Blickwinkel.
„Dieses Haus hat Ähnlichkeit mit den Häusern in Damaskus. Es symbolisiert Kultur.“ Batoul Ahmad zeigt auf das Foto einer Villa im Lichtenberger Stadtteil Karlshorst. Mehr als hundert Jahre alt ist es. „In Damaskus sind die schönen historischen Häuser alle kaputt“, sagt sie traurig. Die junge Frau hat französische Literatur studiert. Sie spricht perfekt Französisch, was ihr momentan nicht allzuviel nützt: Sie fiebert der Abschlussprüfung des Deutschkurses entgegen. 2015 ist sie mit ihrem Mann und den zwei kleinen Töchtern aus Syrien geflohen. Alles, was für sie Heimat war, mussten sie zurücklassen: die Wohnung, den Garten, Spielzeug, Bücher, Fotoalben.
Jetzt, zwei Jahre später, führt die attraktive Frau mit dem nachtblauen Kopftuch durch die Ausstellung „Blickwinkel“. Vor dem Foto eines Bücherregals, das bis zur Decke reicht, bleibt sie stehen: „Die Bücherwand erinnert mich an meinen Vater. Er hat auch so viele Bücher“, erzählt sie und lächelt versonnen. „Früher hat er mir beim Essen immer Fragen zu historischen Themen gestellt. Er war Lehrer an der Schule, an der auch ich unterrichtet habe.“
Wo fühlst du dich wohl, was erinnert an Zuhause?
Untergekommen waren Batoul und ihre Familie zunächst in einem Flüchtlingsheim. In dem Stadtteil mit den schönen Häusern hat IN VIA, ein Fachverband der Caritas für Mädchen- und Frauensozialarbeit, ein Willkommenscafé eröffnet. Aus Syrien oder Afghanistan geflüchtete Frauen treffen sich hier mit Frauen aus der Nachbarschaft. Sie kochen zusammen, reden miteinander, merken, wie ähnlich sie sich sind in ihren Wünschen und den Sorgen. Bis zu 20 Migrantinnen nutzen gemeinsam mit ihren Kindern die Angebote des IN VIA-Frauentreffs.
Ein solches Angebot war das Projekt „Blickwinkel“. Studierende der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Karlshorst hatten die Idee zu dem Fotoworkshop. „Wo fühlst du dich wohl, was erinnert dich an dein Zuhause, haben wir gefragt“, berichtet Lena Pape, eine der Studentinnen, die mit Batoul und den anderen Frauen aufgebrochen sind, um „Heimat“ zu entdecken. Das Resultat der Spaziergänge sind Fotos vom blühenden Kirschbaum, von ausgehobenen Baumwurzeln und von einem Teller mit orientalischem Gebäck vor dem Adventskranz. Oder das Bild eines kleinen Mädchens, das im weißen Spitzenkleid über eine sattgrüne Wiese tanzt. „Das ist meine Nichte auf einer Hochzeit. Das Bild macht mich glücklich, es zeigt Freiheit und Geborgenheit“, sagt die Fotografin dazu.
Auf dem Bild daneben taucht die untergehende Sonne eine Straße in rotgoldenes Licht. Eingefangen ist die Abendstille, die sich über die Häuser und die Autos, die beidseitig die Straße säumen, senkt. „Die Sonne hat große Macht auf Mensch und Natur. Sie ist überall auf der Welt zu sehen“, ist das Foto untertitelt. Ein anderes Bild zeigt ein Hochhaus des Neubaugebiets von Berlin-Friedrichsfelde, das in den blauen Himmel ragt. „Neues Zuhause“ heißt es. Rana Souman, die den 21-Geschosser fotografiert hat, wohnt jetzt in Friedrichsfelde.
„Die religiöse Vielfalt ist uns wichtig“
Der Blick der geflüchteten Frauen auf das, was sie in der neuen Heimat an ihre alte Heimat erinnert, überrascht und bewegt. Zwei der Fotos haben die katholische Kirche von Karlshorst als Motiv. Eines zeigt die Figur der Maria über dem Hauptportal, die ihre Hände ausbreitet über jeden, der die Kirche betritt. Das andere lenkt den Blick über das Kreuz auf dem Kirchturm in den Himmel. Batoul Ahmad sieht Parallelen: „In Damaskus gab es auch christliche Kirchen. Diese religiöse Vielfalt ist uns wichtig.“
Die Fotoausstellung „Blickwinkel. Wie siehst du das?“ ist in der Katholischen Hochschule für Sozialwesen, Köpenicker Allee 39, Berlin-Karlshorst, wochentags bis zum 17. Oktober zu sehen.