„Wir brauchen Väterlichkeit“

Der heilige Josef ist sichtbar – als Holzstatue im Pilgerrucksack. Foto: Oliver Gierens

Seit dem 1. Mai wird eine Josefs-Statue durch die katholischen Gemeinden im Havelland getragen. Nach vier Monaten ist sie an ihrem Ziel angekommen, der „Fazenda de Esperança“ auf Gut Neuhof.


Es ist recht kühl am Morgen des 4. September, die Sonne kommt nur zögerlich hinter der Wolkendecke hervor. Die meisten der 13 Personen, die betend und singend durch die Straßen von Nauen ziehen, haben sich trotz des angekündigten Spätsommerwetters etwas dicker angezogen. Gemeinsam tragen sie eine Statue des heiligen Josef in einem eigens dafür gerfertigten Rucksack durch die Straßen. Schützend breitet er seinen Mantel über Maria und das Jesuskind. Rund zwölf Kilometer weit geht es an diesem Tag bis zum Ziel, der Fazenda de Esperança („Bauernhof der Hoffnung“) auf Gut Neuhof, einer christlichen Einrichtung für Suchtkranke oder für Menschen auf der Suche nach ihrem Lebenssinn.

Es ist die letzte von acht Josefswallfahrten, die die Pastoralen Räume Nauen/Brieselang und Brandenburg/Rathenow/Bad Belzig in diesem Jahr veranstaltet haben. Am 1. Mai, dem Gedenktag „Josef, der Arbeiter“ ging es los, seitdem wandert die Josefsstatue durch die Kirchen des ehemaligen Dekanats, aus dem inzwischen Pastorale Räume geworden sind. Im Frühjahr sei man auf die Idee gekommen, nachdem der Papst für 2021 ein Josefsjahr ausgerufen hatte, berichtet Simone Bobertz. Seit gut 20 Jahren ist sie Pfarrsekretärin im benachbarten Brieselang. Auch heute ist sie bei der Wallfahrt mit dabei, ihren Hund hat sie auch gleich mitgebracht. Normalerweise steht die Josefsstatue in der Kapelle in Paaren im Glien, die ebenfalls zum Pastoralen Raum gehört. Da coronabedingt die sonst jährliche „Himmel-Wall-Fahrt“ rund um Christi Himmelfahrt in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal in Folge ausgefallen ist, entschieden sich die Gemeinden, den Wunsch des Papstes nach einer stärkeren Josefs-Verehrung aufzugreifen.

„Wir gehen nie allein. So wie Josef den Weg Jesu begleitet hat, so begleitet er uns heute als Fürsprecher“, gibt Pfarrer Matthias Patzelt aus dem benachbarten Brandenburg an der Havel den Pilgern bei der Aussendung mit auf den Weg. Aber auch die Gemeinschaft der Pilger untereinander trage den Einzelnen, und die Pilger nehmen auch viele Gebetsanliegen mit, ergänzt der Pfarrer.

Diese Gemeinschaft ist auf dem rund zweieinhalbstündigen Weg immer wieder spürbar. Untereinander entstehen Gespräche, die 13 Pilger tauschen sich aus, lernen sich noch besser kennen. Pfarrer Patzelt und Kaplan Janek Wroński, die die Pilgergruppe begleiten, geben auch geistliche Impulse. Mitten auf der Landstraße nutzen sie die Rast, um gemeinsam die Josefslitanei zu beten – wobei immer wieder Radfahrer den Weg kreuzen und sich zuweilen über die Menschenansammlung wundern. Vor dem Friedhof im kleinen Dorf Markee gibt es einen kurzen Impuls, und auf dem Weg Richtung Fazenda beten alle Rosenkranz. „Ist das hier eine Familienfeier?“, fragt eine verdutzte Radfahrerin, die sich langsam den Weg durch die Gruppe bahnt. Ganz falsch liegt sie damit nicht.

Josef nachahmen im Aushalten und Anpacken

Gegen 14 Uhr ist die Fazenda in Sicht. Weit draußen liegen die frisch sanierten Gebäude, nur über eine einsame Straße erreichbar, die mitten durch die Felder und vorbei an unzähligen Windrädern führt. 1998 übernahm die Fazenda den verfallenen Gutshof von der Treuhandanstalt, und die ersten Jugendlichen sowie zahlreiche Helfer begannen damit, die heruntergekommenen Gebäude wieder bewohnbar zu machen. Joachim Rybot aus Paaren im Glien ist einer von ihnen, der damals mit angepackt hat, um hier einen „Bauernhof der Hoffnung“ zu ermöglichen. Er erzählt im Gespräch mit dem Tag des Herrn noch heute mit Begeisterung davon, wie sie damals eine Wasserleitung von Markee bis hierher fast in Handarbeit verlegt haben. Das große Holzkreuz, das vor der heutigen Kapelle steht, hat er selbst gebaut: Für ein Franziskusfest auf der Fazenda hat er damals einen rund 100 Jahre alten Holzbalken zersägt und das große Kreuz gefertigt. Die Fazenda sei in Handarbeit „Stück für Stück“ gewachsen, erzählt Rybot. Ihn hätten von Anfang an die Menschen beeindruckt, die auf dem Bauernhof leben und von ihrer Suchtgeschichte erzählen. „Wie ein Mensch so viel aushalten kann, habe ich mich immer gefragt“, berichtet er.

Momentan sind neun der maximal 28 Plätze belegt, berichtet der bisherige Leiter der Einrichtung, Kleberson Jasper. „Wir waren schon mal mehr“, meint er auf Nachfrage – doch durch intensivere Werbung soll der Bekanntheitsgrad der Einrichtung gesteigert werden. Ein Jahr sollen die Menschen hier mitleben und ohne Alkohol, Nikotin, Fernsehen und Internet einen Neuanfang wagen. Der 23-jährige Joshua lebt seit elf Monaten hier und gibt an diesem Samstag den Pilgern und Besuchern, die zuvor gemeinsam heilige Messe gefeiert haben, ein kurzes Zeugnis. „Als ich hierher kam, war ich noch ein anderer Mensch“, erzählt er von seinen Erfahrungen.

Der große Saal, in dem sich Pilger und Messbesucher treffen, ist seit Kurzem dem heiligen Josef geweiht. Neben Franz von Assisi ist auch er Schutzpatron der Fazenda. Pfarrer Gerhard Ernst unterstreicht in seiner Predigt während der Pilgermesse, dass auch die Gesellschaft heute „Josefsgestalten“ benötige, „väterliche Gestalten, die auf den Heiligen hinweisen“.