Hämmernde Gedanken und bohrende Fragen gab es auch am letzten Abend der Nikodemus-Gesprächsreihe, die von den Veranstaltern als „geistliche Denkwerkstatt“ ins Leben gerufen wurde. Zu einem Resümee hatten Diözesanrat, Katholische Akademie, Canisius-Kolleg und die Stabsstelle „Wo Glauben Raum gewinnt“ am Montag in die Gedenkkirche Maria Regina Martyrum eingeladen, wo seit April 2016 sechs Gesprächsabende stattgefunden hatten, um gemeinsam über die Zukunft der Kirche nachzudenken.
„Alle Augen warten auf Dich, Herr“, stimmte Pater Tobias Zimmermann an und lud anschließend die rund 30 Teilnehmer ein, „unter dem Auge Gottes“ Resümee zu halten. Als geistlichen Impuls las er den offenen Brief vor, den er mit Joachim Hake, Christopher Maaß und Bernd Streich an Erzbischof Heiner Koch verfasst hat. Das Schreiben sei „in einem Ringen der Mitstreiter“ entstanden, es in Worte zu fassen, welche zentralen Impulse sich aus den Abenden ergeben haben. Das Publikum bat er: „ihn ein Stück zu verkosten und darüber nachzudenken, was Sie bewegt, was Ihnen fehl“.
„Traurigkeiten des Abschieds anerkennen“
Grundsätzlich hätten die vielen Gespräche gezeigt, heißt es in dem Brief, dass der Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“ nur einen positiven Verlauf haben könne, „wenn er wirklich ein geistlicher Prozess ist und an jenen Tiefschichten ansetzt, die ihn verhindern oder ermöglichen“. Viele Menschen fühlten sich auf die Umbruchsituation geistlich nicht vorbereitet, weshalb die Schreiber appellieren, die „Traurigkeiten des Abschieds anzuerkennen und den Versuchungen der Depression zu widerstehen“. Sie wünschen sich Orte im Erzbistum, an denen die Menschen gemeinsam ihre Traurigkeiten und Zukunftsängste bedenken und in „neue Freude des Aufbruchs“ wandeln können.
Weiter wünschen sie sich, die „Abgehängten“ und „Verwundeten“ ernst zu nehmen und ihnen nachzugehen. Die Verfasser sind überzeugt: „Dass der Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“ ein geistlicher Prozess ist, entscheidet sich vor allem an dem Umgang mit jenen, die von der Kirche enttäuscht und verwundet wurden.“
Letztlich brauche es einen „neuen, nüchternen und geduldigen Realismus“, schreiben die Initiatoren im letzten Abschnitt. Es komme darauf an, mitten in der Welt neu von Jesus Christus sprechen und erzählen zu können. Dafür regen sie „Elementarschulen“ an, in denen „glaubende und nichtglaubende Gottsucher das Erzählen und das Beten lernen“ können.
„Wo wird Hoffnung erfahrbar im Nahbereich?“
Diözesanratsvorsitzender Bernd Streich zitierte nach dem Impuls aus der Bibel: „Am Anfang war das Wort“ und er erinnerte, dass auch zu Beginn des Prozesses ein Wort stand: das Hirtenwort des damaligen Berliner Erzbischofs Rainer Maria Kardinal Woelki. Dieser betonte, dass der Prozess nur gut werden könne, wenn es wirklich ein geistlicher ist. „Mit den Nikodemus-Gesprächen wollten wir das unterstützen“, erklärte Streich die Ursprungsidee. Heute frage er sich: „Sind wir vorwärts gekommen?“ Seine Erfahrungen seien sehr nüchtern: Er fühle sehr viel Organisatorisches und Strukturelles. „Wo wird Hoffnung erfahrbar im Nahbereich?“, fragte er und zog den Vergleich zu der Bewegung „Hoffnung lernt gehen“ vor 30 Jahren. „So hieß es damals“, sagte Streich. Und heute: „Wo Glauben Raum gewinnt.“
Christopher Maaß von der Stabsstelle „Wo Glauben Raum gewinnt“ formulierte sein Resümee in Form eines Gedichts von Hilde Domin: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten“. So ähnlich habe er die Nikodemus-Gespäche erlebt. Er hob noch einmal die Bedeutung von Übersetzungsarbeit hervor. Genauso wichtig sei es, eine neue Sprachfähigkeit des Glaubens, sowie Form der Kommunikation und Beteiligung zu finden.
„Wir brauchen Orte der Wiederholung und des Übens.“
Akademie-Direktor Joachim Hake erklärte, er sei ein Freund der „Elementarschulen“. Diese sollten nach seiner Ansicht Grundschulen sein, in dem Sinne, dass sie keine Angst hätten, vor dem Abgrund, den dunklen Seiten des Glaubens. Außerdem verstehe er sie als Schulen für Anfänger, in denen gelernt wird, wie man etwas miteinander anfängt. Weiter führte Hake aus, dass er sich dafür nur Lehrer wünsche, die selbst lernen wollten. Und letztlich sprach er sich für Schulen des Elementaren „in dem Sinne der einfachen Lehre – Caritas, Liturgie, Verkündigung – aus“. Joachim Hake ist überzeugt: „Wir brauchen Orte der Wiederholung und des Übens.“
Pater Tobias Zimmermann zeigte sich „zutiefst dankbar“ für die Nikodemus-Gespäche, auch wenn sie ihn teilweise verärgert und aufgewühlt hätten. Vor allem die Momente, in denen Emotionen auftauchten, die echt waren, hätten ihn berührt. Auch das Aushalten von Sprachlosigkeit gehöre dazu. Seine Erkenntnis: „Es gibt nicht mehr die eine Kirche, sondern viele katholische Identitäten. Und es gibt nicht mehr den einen Prozess.“ Den bisherigen Weg nannte er „eine Übung, wie wir ihn weitergehen“.
„Wir müssen lernen in die Tiefe zu gehen.“
Im Anschluss lud Christopher Maaß die Zuhörer zu „Murmelrunden“ mit ihren Nachbarn ein, um sich über Gehörtes und eigene Gedanken auszutauschen, bevor dann Einzelne das Mikrofon ergreifen konnten.
Ein Teilnehmer bedankte sich „für diese Form, die ich im Bistum so noch nicht erlebt habe“. Er sei überzeugt: „Kirche muss demütig werden und eine dienende sein.“ Eine weitere Wortmeldung erinnerte, wie intensiv Kirche in den ersten drei Jahrhunderten gelebt habe, als sie noch nicht im Besitz imposanter Bauten war. Prälat Stefan Dybowski vermisste in dem Brief „die Freude am Evangelium“. Dem schloss sich eine Teilnehmerin an: „Ich war erstaunt, dass in dem Brief von so viel Traurigkeit die Rede ist“. Sie findet katholischen Glauben in Berlin sehr interessant und nicht so freudlos. Ihre Forderung: Die Stimmen der Frauen hörbarer machen. Einem anderen Teilnehmer hat im Brief die Theologie gefehlt.
Auf breites Interesse stieß die Idee der „Elementarschulen“. Zu akademisch geraten beklagte dagegen ein Teilnehmer aus Wilmersdorf die Gesprächsabende, die als „Denkwerkstatt“ konzipiert waren. „Werkstatt heißt für mich, sich auch mal auszuprobieren und schmutzig zu machen. Das habe ich hier vermisst“, sagte er.
Wolfgang Klose zeigte sich enttäuscht, dass die Gesprächsreihe mit diesem Abend beendet wurde. „Wir müssen lernen in die Tiefe zu gehen. Und wir müssen lernen, verständlich zu sprechen“, betonte er. „Dafür brauchen wir noch viel Zeit.“ Üben habe auch ein Ende, betonte dagegen Pater Zimmermann zum Abschluss. „Der Ball liegt jetzt bei Ihnen und uns allen“, sagte er. „Wir würden uns freuen, wenn das andernorts weitergeht.“